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Die Geschichte des Rosenkranzes


1. Teil
(Franz Michel Willam; 1947)

I.

Die geistigen Ursprünge der Rosenkranzandacht.

Der Rosenkranz gleicht einem mächtigen Strome, der sich aus mehreren Flüssen zusammensetzt. Diese entspringen alle auf denselben geistigen Höhen. Die geistigen Höhen sind in diesem Falle die liturgischen Gebete der Kirche, soweit sie nicht der Feier des heiligen Messopfers zugeordnet sind, sondern in sich selbst dem Gebetsverkehr mit Gott dienen. Daher soll die Geschichte des Rosenkranzes mit einem Blick auf diese Höhen einsetzen. Dann möge der Abstieg in das Land des Glaubens nach jener Richtung beginnen, in welcher die Flüsse entspringen, die sich im Strome des Rosenkranzes vereinen.

II

Die liturgischen Gebete der Kirche und ihre Nachbildungen
in der Sprache des Volkes.
Grundvorgänge

Der Zeit um das Jahr 1000, mit der die Entwicklung der Rosenkranzandacht anhebt, war etwas Gutes eigen: im einfachen Volke bestand ein beharrliches Verlangen, am Leben der Kirche, wie es sich in der Feier des Gottesdienstes, in der Feier des hl. Messopfers und im Chorgebete der Mönche darstellte, möglichst innigen Anteil zu nehmen. Dem Begehren des Volkes entsprach in kirchlichen Kreisen ein ebenso ernstliches wie weitherziges Bestreben, das Volk geistig nahe an den Altar und an die Bänke des Chorgebetes heranzuführen.

Die Natur der Dinge brachte es mit sich, dass man kürzere heilige Texte dem Volke in der lateinischen Sprache selbst übermittelte. Hiezu gehörten jene Teilt der heiligen Messe, die man sang, also vor allem das Kyrie, das Credo und das Sanctus. Doch gab es immerhin auch Bauern, die noch etwas von den sieben Bußpsalmen in Latein wussten. Am meisten lateinische Gebete kannten die Laien, die in den weit ausgedehnten landwirtschaftlichen Klosterbetrieben arbeiteten. In den Klosterkirchen fanden sich, namentlich an Festtagen, außer ihnen auch viele Leute ein, die Mitglieder der sogenannten Gebetsverbrüderungen waren. Durch diese Männer und Frauen gelangten manche lateinische Gebete in die Familien und wurden dann dort von Geschlecht zu Geschlecht mündlich überliefert.

Der Inhalt der längeren Texte konnte dem Volke nur auf dem Wege geistig zu eigen werden, dass man eine Übertragung in die Volkssprache bereitstellte. Dazu kam es sehr oft auf dem Weg über eine Fassung, die noch der lateinischen Sprache angehörte, ihrem Inhalte nach aber sich aus dem Gemüte des Volkes nährte. Das berühmteste Werk dieser Gattung ist das Buch von der Nachfolge Christi. Millionen von Christen haben die Nachfolge Christi in ihrer Muttersprache gelesen, ohne auch nur im geringsten daran zu denken, dass sie ein lateinisch geschriebenes und nachträglich in die Volkssprache übersetztes Werk vor sich haben könnten. Diese Art von Latein war innerlich von einer ganz anderen Geistigkeit als die alte römische Sprache, und das Volk vernahm darin die Schläge seines eigenen Herzens.

Was die heilige Messe betrifft, fügte man, um dem Volke entgegenzukommen, vor allem nach dem Graduale ein gesangliches Zwischenstück ein. Man nannte es Sequenz, das heißt, "Nachfolgendes". In der Sequenz brachte man den Festgedanken der Messe in dichterischer Gestalt zum Ausdruck, dichterisch in dem Sinne genommen, dass er vom Volke leichter verstanden wurde. Der Unterschied, der zwischen dem warmen und tiefen Gemüte einer solchen Sequenz und einem rein liturgischen knapp gefassten Texte besteht, wird jedem Leser offenbar, wenn er sich einige Beispiele daraufhin ansieht.

Der Alleluja-Vers des hohen Osterfestes lautet: "Unser Osterlamm ist geschlachtet, Christus." An diesen Vers wurde die Sequenz, die heute noch zur Ostermesse gehört, angefügt. In ihr kommt das froh erregte Zwiegespräch mit Maria vor.

"Maria, was ist geschehen?
Was hast du suchend gesehen?"
"Christi Grabstatt sah ich, vom Leben
Und Glanz des Erstandenen umgeben.
Sah himmlische Boten,
Schweißtuch und Linnen des Toten.
Erstanden ist Christus, mein Hoffen,
Er geht euch nach Galiläa voran."

Der Alleluja-Vers der Pfingstmesse lautet: "Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen Deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer Deiner Liebe.“ Zu diesem Satz entstand, möglicherweise als ein Werk des heiligen Erzbischofs Stephan Langton, die Sequenz, die mit den Versen beginnt:

Komm, o Geist der Heiligkeit!
Aus des Himmels Herrlichkeit
Sende Deines Lichtes Strahl!

Vater aller Armen Du,
Aller Herzen Licht und Ruh',
komm mit Deiner Gaben Zahl.

Tröster Du in jedem Leid,
Labsal voll der Lieblichkeit,
Komm, o süßer Seelengast.


Der Alleluja-Vers des Fronleichnamsfestes heißt: "Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise, und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und Ich in ihm." Für diesen Satz dichtete der heilige Thomas von Aquin die Sequenz, die also einsetzt:

Deinem Heiland, deinem Lehrer,
Deinem Hirten und Ernährer,
Sion, stimm ein Loblied an.
Preis nach Kräften seine Würde,
Da kein Lobspruch, keine Zierde
Seiner Größe gleichen kann.

Dieses Brot sollst du erheben,
Welches lebt und gibt das Leben,
Das man heut den Christen zeigt;
Dieses Brot, das einst im Saale
Christus Selbst beim Abendmahle
Seinen Jüngern dargereicht.


Zu den Kirchenliedern, die in den Sprachen aller christlichen. Völker gesungen werden, zählen auch die Sequenz vom Feste der sieben Schmerzen Marias und die Sequenz der Totenmesse.

Die Sequenz vom Feste der sieben Schmerzen Marias beginnt mit der Strophe:

Christi Mutter stand mit Schmerzen
Bei dem Kreuz und weint von Herzen,
Als ihr lieber Sohn da hing.

Durch die Seele voller Trauer,
Seufzend unter Todesschauer,
Jetzt das Schwert des Leidens ging.


Die Sequenz der Totenmesse bricht, wie man sagen kann, mit den Worten los:

Tag des Zorns, der rächt und richtet,
Der zu Staub das All vernichtet,
Wie Prophetenwort berichtet.
Welch ein Schrecken, welch ein Beben,
Wenn, zu richten alles Leben,
Sich der Richter wird erheben!


Neben den Sequenzen fügte man aber auch noch andere Stücke in die Messe ein, die sich inhaltlich an feststehende liturgische Texte anschlossen. Derartige Einschaltungen hießen Tropen. So waren z.B. gesangliche Erweiterungen des Kyrie beliebt. Ein Tropas zum Kyrie der Muttergottesmesse lautete:

Gegrüßt seist du jetzt, Gottesgebärerin Maria!
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Gegrüßt seist du jetzt, heller Meeresstern!
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Gegrüßt seist du, Pforte in das verschlossene Haus!
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!

Tempel des wahren Gesalbten warest du,
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Christi Mutter zu sein hast du verdient,
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Christi Mutter zu sein hast du dich bereit erklärt,
Erbarme dich, Herr, erbarme dich!

Hilf denen, die in Liebe dich preisen,
            Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Hilf denen, die in Gebeten dich bitten,
            Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Hilf denen, die dich loben und ehren
            Erbarme dich, Herr, erbarme dich!
Und sagen: Sei gegrüßt!


Von den rund 5000 lateinischen Sequenzen und Tropen, die erhalten sind, wurde im Laufe der Zeit eine ansehnliche Zahl dichterisch geformt in die Volkssprache übertragen und so verbreitet.

In gleicher Weise führte man auch Einschaltgesänge zu gewissen Teilen des Chorgebetes ein. Diese nannte man "Verbeta", das heißt, "Erweiterungen". An die Worte "Freue dich, Jungfrau Maria, du bist nach der Geburt unverletzt geblieben", schloss sich z. B. folgender Gesang an:

Unverletzt und unberührt
Und keusch bist du, Maria!

Erhabene Mutter,
Du bist Christus am teuersten von allen!

Geworden bist du
Zum strahlenden Tor für den König,

Nimm an die frommen Lobegebete!


Diese Antiphonen des Breviers, die sich an die Mutter des Herrn wenden, verdienen überhaupt eigens erwähnt zu werden. Sie sind nämlich für die Entstehung des ersten und zweiten Teils des Gegrüßt seist du Maria von Bedeutung.

Der geistige Inhalt der Hymnen des Breviers kam in gereimten Übersetzungen unter das Volk.

In einzelnen Fällen machte man, um den Gläubigen den Anschluss an die Liturgie und an das Gebet der Kirche noch mehr zu erleichtern, das ganze Messformular und das gesamte Tagesbrevier des Festes in gereimten Dichtungen zugänglich. So wurde z. B. die Muttergottesmesse von einem Dichter des 12. Jahrhunderts in der Volkssprache wiedergegeben.

Auf diesem Wege gewann das Volk, das zum größten Teile weder schreiben noch lesen konnte, zuweilen eine solche Vertrautheit mit dem unterschiedlichen Range und der besonderen Bestimmung dieser Gebete, wie sie heute trotz aller gedruckten „Texte" oft noch mehr ein Wunsch als Wirklichkeit ist.

Die größte Bedeutung für die Entstehung des Rosenkranzes hatten jedoch die Nachbildungen des liturgischen Psalmengesanges, dem Hauptteile des kirchlichen Stundengebetes. Darum soll der nächste Abschnitt dessen Nachbildungen in den Gebeten des Volkes gelten.

III.

Der Psalter der Heiligen Schrift im liturgischen Gebete der Kirche
und seine vier stellvertretenden Psalter im Gebet des Volkes

Das Psalterium, die 150 Psalmen der Heiligen Schrift, bildeten seit je den längsten und wichtigsten Teil des kirchlichen Stundengebetes. Es ist daher selbstverständlich, dass man dem Volke vor allem ein Gegenstück für das lateinische Psalterium des Stundengebetes zu bieten suchte. Doch gerade diesem Vorhaben, dem man die höchste Bedeutung beilegte, stellten sich auch die größten Schwierigkeiten entgegen. Die Mehrzahl der Laien konnte ja nicht lesen, und jene, die die Kunst des Lesens inne hatten, verfügten meistens nicht über das zum Ankaufe einer Psalmenabschrift erforderliche Geld und entsprechende Kenntnis im Latein. dass die Gläubigen die vielen und oft recht langen Psalmen in Latein auswendig lernen und sich die Übersetzung in der Volkssprache dazu merken sollten, ließ sich auch nicht verlangen.

Da eine unmittelbare Übernahme der Psalmen Davids in das Gebet des Volkes, somit nicht in Frage kam, ging man dazu über, Ersatzgebete für sie zu schaffen. Der Ausdruck "Psalter" erhielt nach und nach eine neue Bedeutung: er bezeichnete neben den 150 Psalmen der Heiligen Schrift jede Reihe von Gebeten, die sich aus 150 Einheiten zusammensetzte.

Mit diesen Bestrebungen war die erste Grundlage und der Keim zum Rosenkranzgebete gegeben. Damals, als die Entwicklung noch in den Anfängen steckte, konnte man freilich nicht ahnen, dass an die Seite des kirchlichen Chorgebetes mit dem lateinischen Psalterium der heutige Rosenkranz als ein volkssprachlicher Psalter, als das Chorgebet der Gläubigen treten würde.


1. Der Psalter aus 150 Vaterunsern

Die wissenschaftliche Forschung hat auch selbst in den Jahren, wo sie sich, wie man sagen kann, auf alle möglichen Einzelfragen stürzte, im allgemeinen eine große Zurückhaltung gezeigt, sobald es sich um die Frage handelte, wovon das religiöse Leben der Unterschichten in den Völkern Europas jeweils seine Anregungen bezog und wie sie ihr Beten formten. Wir wissen ganz genau zwischen einem jonischen, dorischen und korinthischen Baustil zu unterscheiden; wir sind aber gar bald überfragt, wenn wir über die verschiedenen Arten von Betweisen etwas sagen sollen. Würden wir uns in den Betweisen so gut wie in den griechischen Baustilen auskennen, so würde Irland innerhalb dieser Wissenschaft einen ähnlichen Rang einnehmen, wie man ihn dem Volke der Griechen im Reiche der Kunst immer wieder in feiernden Worten zuspricht.

In Irland, im Lande der Beter und der Heiligen, stand das Buch der Psalmen von allem Anfang an in höchstem Ansehen. Die irischen Mönche beteten sich in diese Psalmen, die zugleich ihre Lieder im Glauben waren, mit der ihnen eigenen Frömmigkeit voller Hingabe hinein. Bezeichnend dafür ist, dass sie dem Buche der Psalmen einen eigenen Namen gaben und die 150 Psalmen "Na tri coicat", „die drei Fünfziger" nannten.

Auf dieser Insel setzte denn auch an zwei Stellen jene Entwicklung ein, die in ihrer Entfaltung im heutigen Rosenkranzgebete ihren Abschluss fand.


Wie schon bemerkt wurde, nannten die irischen Mönche das Buch der Psalmen die drei Fünfziger. Man zählte dementsprechend einen ersten, einen zweiten und einen dritten Fünfziger. Solche Fünfziger wurden nach der Beichte als Buße - die öftere Beichte kam ja auch von Irland her - aufgegeben und auch als Gebet für die Seelenruhe der Verstorbenen verrichtet. So bezeugt z. B. eine Urkunde aus dem Kloster Kemble (nach 800), dass die
Mitglieder des Klosters für jeden verstorbenen Wohltäter zwei Fünfziger, also 100 Psalmen, zu beten hatten. Dasselbe wird auch von einem K1oster in Canterbury für ungefähr die gleiche Zeit gemeldet.

Mit den Mönchen Kolumban und Gallus und ihren Heimatgenossen kam die Einteilung der Psalmen in drei Fünfziger auf das Festland Europas. In jenen Jahrhunderten zwischen der Völkerwanderung und der Zeit Karl des Großen war das Irische wirklich und buchstäblich die zweite Kirchensprache neben dem Latein. Seine geistigen Ausstrahlungen reichten bis nach Oberitalien. Eine Urkunde aus dem Jahre 800 meldet uns, dass die beiden Klöster St. Gallen und Reichenau miteinander eine Abmachung trafen und sich zu einer Gebetsgemeinschaft zusammenschlossen. Sooft ein Mitglied der beiden Klöster starb, mussten alle Priester der beiden Klöster eine hl. Messe lesen und alle Nichtpriester einen Fünfziger beten. Nach einer Urkunde des Klosters  Fulda wandten sich die Mönche daselbst an Karl den Großen und baten ihn, man möge sie bei der alten Gewohnheit lassen, jeden Monat eine Vigil und 50 Psalmen, am Jahrestage, ihres Klostergründers Sturm jedoch eine Vigil     und das ganze Psalterium, also alle drei Fünfziger zu beten.

Nun gab es in diesen Klöstern natürlich auch Laienbrüder, die von Latein nicht viel verstanden und daher keinen Fünfziger beten konnten. Möglicherweise wurden diese Laienbrüder schon damals zu bestimmten Ersatzgebeten für die Psalmen verpflichtet. Jedenfalls lässt sich für das Jahr, 1096 für das Kloster Cluny feststellen, dass dort folgende Vorschrift galt: Wer Priester ist, hat für jedes verstorbene Mitglied eine, hl. Messe zu lesen. Wer nicht Priester ist, hat 50 Psalmen oder 50 Vaterunser, also für jeden Psalm ein Vaterunser, und im ganzen einen neuen Fünfziger, einen Fünfziger von 50 Vaterunsern zu beten. Eine Einheit von 50 Psalmen bezeichnete man dann nach dem lateinischen Worte "Quinquaginta" als eine "Quinquena".

Eine ähnliche Bestimmung findet sich in den Regeln des Zisterzienserordens. Jeder Priester hatte für die verstorbenen Mitglieder des Ordens (während des Jahres) 20 heilige Messen und jeder Nichtpriester 10 Psalter oder 1500mal den Psalm Miserere oder 1500 Vaterunser zu beten. Für einen Verstorbenen des eigenen Klosters hatte jeder Priester drei heilige Messen und jeder Laienbruder 150 Miserere oder 150 Vaterunser zu beten. Dem Psalter aus 150 Psalmen entsprachen auch in diesem Falle 150 und jedem einzelnen Psalm je ein Vaterunser.

Im Templerorden gab es eine ähnliche Bestimmung. Dort mussten nach den Beschlüssen des Konzils von Troyes (1128) beim Tod eines Mitgliedes sieben Tage hindurch alle 100 Vaterunser, also die Vaterunser von zwei Fünfzigern des Psalters, beten.

Neben der Sitte, den Psalter in drei Fünfziger einzuteilen und von den einfachen Leuten des Volkes für einen Psalm ersatzweise ein Vaterunser beten zu lassen, war für das Werden des Rosenkranzes noch ein zweiter Brauch von Bedeutung, der sich ebenfalls von Irland herleitete.

Die englischen Forscher unterscheiden, soweit es sich um die Geschichte der Frühzeit und des Mittelalters handelt, nicht bloß zwei, sondern drei Arten von Gebeten; nämlich "mündliche", "körperliche" und "betrachtende" Gebete. Unter dem Stichworte "körperliche Gebete" fassen sie jene alten Gebetsübungen zusammen, die mit Verneigungen, Kniebeugungen und Hinstrecken auf den Boden, an die Brust klopfen, Ausspannen der Arme, verbunden waren. Diese Gebetsweise, die im Morgenlande von alters her heimisch war und unter anderem in den Gebetsübungen der Mohammedaner fortlebt, gehörte auch zum frühesten Gebetsleben Irlands. Mit den irischen, schottischen und angelsächsischen Missionären kam auch sie auf das europäische Festland.

Die Kniebeugungen und Verbeugungen, die mit den Gebeten verbunden waren, hatten damals auch einen eigenen Namen; man bezeichnete sie als "veniae". In diesem Ausdruck ist miteingeschlossen, dass diese Gebete mit Vorliebe als Flehgebete verrichtet wurden.

Das Beten mit ausgespannten Armen hieß man im Irischen "Croßfigil". Dieser Ausdruck wird in alten Urkunden mit "Kriuzestale" - so soll es wohl heißen und nicht "Kiuzestale" - also "im Kreuze sprechen" wiedergegeben, gemeint ist eine solche Haltung annehmen, dass der Leib und die ausgebreiteten Arme ein Kreuz bilden. In Schweizer Urkunden wird diese Art zu beten ein Beten mit "zertanen Armen" genannt.

Es lag nahe, dass Laien, die an Stelle der lateinischen Psalmen die gleiche Zahl von Vaterunser beteten, die Sitte aufbrachten, diese Vaterunser ebenfalls mit Kniebeugungen zu begleiten. So ist es zu erklären, dass in den folgenden Jahrhunderten, wie die Urkunden zeigen, weithin die Sitte verbreitet war, eine bestimmte Anzahl von Gegrüßt seist du Maria mit ebensoviel Kniebeugungen oder Verneigungen zu verbinden.

Ein wertvolles Zeugnis für diese irische Betweise und ihre Verbindung mit den Psalmen findet sich z.B. in der Lebensbeschreibung des heiligen Patrik. Von ihm wird nämlich berichtet, dass er die Nacht in drei Abschnitte einteilte, von denen die ersten zwei dem Gebete gewidmet und das letzte Drittel dem Schlaf aufgespart war. Die Gebetszeit habe er dann auf die Weise ausgefüllt, dass er 100 Psalmen, also zwei Fünfziger betete und dabei 200mal, also wohl bei Beginn und Ende eines jeden Psalmes, die Kniebeugung machte. Den letzten Fünfziger der Psalmen habe er, um sich wach zu halten und Buße zu tun, in kaltem Wasser stehend und mit ausgespannten Armen gebetet.

Als Buß- und Totengebet dieser Art ist auch die mittelalterliche Sitte aufzufassen, dass der Papst an den letzten Tagen der Karwoche neben dem gewöhnlichen Officium noch alle, 150 Psalmen betete. Fromme Laien und ganze Ordensgemeinschaften ahmten dies nach und in einzelnen Orden hat sich diese Sitte bis heute erhalten.

Die einen lächeln und die andern ärgern sich, wenn sie von einer solchen Betweise hören. Eigentlich sollten jedoch wir alle zusammen etwas anderes tun, nämlich diese Art zu beten in tätiger Erfahrung erproben und einige Zeit hindurch auch so beten. Für Menschen, die so viel auf selbständige Untersuchung und Überprüfung geben, wäre das eigentlich selbstverständlich. Die Probe würde freilich in den meisten Fällen damit enden, dass man entweder sofort wieder aufhört oder sich auf eine viel lebhaftere Weise als gewöhnlich auf die ehrfurchtgebietende und anbetungsheischende Gegenwart Gottes besinnt. Aus diesem Grundgefühl ist nämlich das mit Gebärden begleitete Beten entstanden.

Diese Art zu beten lebt im Volke verborgenerweise bis zum heutigen Tage fort. Es gibt noch Familien, die in besonders schweren Anliegen mit ausgespannten Armen beten. In Niederösterreich bestand bis in die letzten Menschenalter die Sitte, am Feste der Apostelfürsten Petrus und Paulus um 12 Uhr mittags ins Freie zu treten und mit dem Gesicht nach Süden, nach Rom gerichtet, den Engel des Herrn mit ausgespannten Armen zu beten, um den Segen des heiligen Vaters zu empfangen.

Von dieser "körperlichen Betweise" bis zur ältesten Form des Psalters war es nicht sehr weit. Man musste nur das Beten von 50 Vaterunser für 50 Psalmen, von 100 Vaterunser für 100 Psalmen und von 150 Vaterunser für 150 Psalmen von seiner Verbindung mit Beichte oder Sterbefall lösen und sich zur Gewohnheit machen, jeden Tag 50, 100 oder 150 Vaterunser zu beten, dann erhielt man ein Gebet, das schon irgendwie einem oder zwei oder drei Rosenkränzen entsprach.

Wenn der Psalter heute in den freudenreichen, den schmerzhaften und glorreichen Rosenkranz zu je 50 Gegrüßt seist du Maria eingeteilt wird, so leitet sich diese Dreiteilung von der irischen Dreiteilung des Psalters der Heiligen Schrift ab und ist nicht erst für den Psalter-Rosenkranz in der Volkssprache eingeführt worden.

Der Brauch, die Vaterunser und andere kurze Gebete an Schnüren zu zählen, war schon lange vor der Zeit des hl. Dominikus volkstümlich. Das beweist unter anderem ein beurkundeter Vorfall aus Isny im Allgäu. Dort brach um das Jahr 1151 ein Erbstreit aus, dessen Schlichtung davon abhing, ob die Zählschnur, der "Zähler", wie Messer und Gabel zum persönlichen Besitze oder wie Bett und Stuhl zum gewöhnlichen Nachlasse des Toten gehörten. Die Frage wurde dahin entschieden, dass der Zähler gleich Messer und Gabel, die auch jedermann besaß, zum persönlichsten Eigentum der Verstorbenen zu rechnen sei. Im Sachsenspiegel, dem Rechtsbuche, das ungefähr zwei Menschenalter später abgefasst wurde, findet sich dann eine gleichlautende Bestimmung. Es wird erklärt, dass einer Witwe das Recht zustehe, ihre Paternoster-Schnur als Erbgut mitzunehmen.

In der Sprache des Volkes haben sich bis heute Bezeichnungen erhalten, die an die Zeit erinnern, da man an der Zählschnur ursprünglich Vaterunser abzählte. Die Zählschnur wird nämlich, je nachdem man das Wort "noster" oder "pater" als Abkürzung gebraucht, heute noch bald als "Noster" oder "Nuster" und bald als "Päter" bezeichnet.


2. Der Psalter aus 150 Gegrüßt seist du Maria.

Die Geschichte des Gegrüßt seist du Maria

Zum Psalter aus 150 Vaterunser gesellte sich im Laufe der Zeit ein Psalter aus 150 Gegrüßt seist du Maria in jenem Wortlaute, wie es damals gebetet wurde.

Das Gegrüßt seist du Maria hat nämlich seine eigene Geschichte. Dieses Gebet, ein Teilgebet des Rosenkranzes, leitet sich wie der Rosenkranz als Ganzes aus der Nachbildung liturgischer Gebete in den Sprachen christlicher Völker ab.

Die Worte des Engels "Gegrüßt seist du Maria, du bist voll der Gnade, der Herr ist mit Dir!" ließen sich mit den Worten der Base Elisabeth an die seligste Jungfrau "Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" ohne weiteres zusammenfügen. In der Liturgie wurden diese beiden Begrüßungen an Maria denn auch schon um 600 nach Christus im Offertorium des Adventsonntags vor Weihnachten, der ein Mariensonntag war, zu einer Einheit verbunden.

Über die weitere Entwicklung gibt eine Legende in den Werken des heiligen Peter Damian wohl so vie1 Aufschluss, als man für jene Zeit überhaupt erhalten kann († 1072). Der heilige Damian erzählt: Ein Kleriker, der sich von seinem Berufe ganz verirrt hatte, bewahrte trotzdem die gute Gewohnheit, vor einem Muttergottesbilde täglich die Worte: "Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" zu singen. Als ihm wegen seines ungeistlichen Lebenswandels die Pfründe genommen wurde, erschien seinem Bischofe die Muttergottes und setzte es durch, dass er wiedereingesetzt wurde und so wieder zu leben hatte.

Diese Legende beschließt der heilige Damian nun mit der Nutzanwendung: "Dieser Mann stimmte dieses einzige aus dem Munde des Engels oder aus dem Evangelium übernommene Verslein: ‚Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes' an und erhielt dafür die leibliche Nahrung als Lohn. Mit welchem Vertrauen dürfen dann diejenigen sich ewigen Lohn erhoffen, welche der seligen Königin des Himmels täglich die, Gebete aller Tageszeiten darbringen!"

Diese Nutzanwendung mit der Gegenüberstellung des Gebetleins des Klerikers und der Tagzeiten zu Ehren der Muttergottes bewegt sich nur dann im vollen Gleichgewicht, wenn man annimmt, dass sowohl der Satz ",Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern", als auch der Satz "und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" auch in den kleinen Tagzeiten zu Ehren Marias vorkam und gleichsam einen, wie es dem hl. Damian vorkam, freilich kläglich kurzen Auszug aus diesen Tagzeiten darstellte.

Die Tagzeiten zu Ehren Marias am Samstag, die aus jener Zeit unverändert auf uns gekommen sind, haben denn auch wirklich den einen Teil dieses Gebetes "Gegrüßt seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir", als feierliche Einleitung und den Satz "Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" als Antiphon für die Vesper und die Laudes.

Die gleichen Elemente zeigen, soweit es sich um den Gruß des Engels und den der Base Elisabeth handelt, die Tagzeiten zu Ehren Marias, die im Kloster Fonte Avellana, gebetet wurden, dem der heilige Damian selbst angehörte. Auch in Londoner Handschriftensammlungen finden sich Tagzeiten zu Ehren Marias aus diesem Jahrhundert, welche die beiden Grüße getrennt als Teile des Gesamtgebetes enthalten. In London befindet sich daneben ferner eine Handschrift, in der das Vaterunser und das Gegrüßt seist du Maria als Gebete angeführt sind, die aufeinander folgen sollen. Damit ist der Beweis erbracht, dass das Gegrüßt seist du Maria damals zu einem Gebete aufzusteigen begann, das seinen Platz neben dem Vaterunser erhielt.

Es ist nach Thurston somit kein Zweifel, dass das "Gegrüßt seist du Maria“ auf dem Wege über die Tagzeiten der seligsten Jungfrau Maria in immer weiteren Kreisen bekannt und nach und nach zu einem Volksgebete wurde.

Dieses Vorrücken des Gegrüßt seist du Maria neben Credo und Vaterunser lässt sich an Hand der Diözesanbestimmungen verfolgen.

Bis zum 12. Jahrhundert führen sämtliche Diözesanbestimmungen als solche Gebete, die alle Gläubigen können und kennen sollen, nur das Vaterunser und den Glauben an. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts erscheint jedoch das Gegrüßt seist du Maria mit in der Liste und wird neben das Vaterunser gestellt. Am frühesten geschah dies in der Diözese Paris (1198).

Auf Paris folgte Durham (1217), Trier (1227), Conventry (1237), Le Mans (1247), Valencia (1255), Norwich (1257) Rouen (1278), Lüttich und Exeter (1287), die Synoden von Bergen (1320), Drontheim (1351) und Skalholt (1354). Westlich des Rheins setzten ähnliche Verordnungen im nächsten Jahrhundert ein. Sie bringen das Gegrüßt seist du Maria jedoch bereits mit dem Zusatze: Jesus oder Jesus Christus, so dass es mit den Worten "und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus oder deines Leibes Jesus Christus" schloss.

Im 13. Jahrhunderte begann man außerdem, das Volk in Predigten über das Gegrüßt seist du Maria in ähnlicher Weise wie über den Glauben und das Vaterunser zu belehren. Der heilige Albert der Große, der heilige Thomas von Aquin und der heilige Bonaventura nahmen das Gegrüßt seist du Maria in der kurzen Form zur Unterlage für ihre Predigten. Der berühmteste deutsche Prediger dieser Zeit, Berthold von Regensburg († 1272), setzt den Leuten einmal auseinander, dass die Taufpaten ihren Schützlingen das Vaterunser und den Glauben beizubringen hätten und fügt dem Satz bei: "Können sie das Gegrüßt seist du Maria dazu, so ist das ‚viel wunder', das heißt, ‚wunderbar gut’".

In den gleichen Menschenaltern erschien das Gegrüßt seist du Maria in den Legenden, oder besser gesagt: es wurden Legenden eben zu dem Ziele verbreitet, um für dieses Gebet zu werben. So beginnt die Legende vom ertrunkenen und durch Maria geretteten Glöckner mit den Worten:

Ave Maria ist ein Gebet
Wer das je mit Fleiße (beten) tat
Und noch heute mit Fleiße tut,
Fürwahr sein Lohn, der ist gar gut.
Wann die liebe Königin,
Maria, die Fraue mein,
In rechter Zeit (in der Zeit der Not) lohnt.


Vom 13. Jahrhundert an
war das Gegrüßt seist du Maria ein Liebligsgebet der Gläubigen, das man neben dem Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser nannte und zusammen mit ihnen betete.

Im 14. Jahrhundert begann man, an das bisher übliche Gegrüßt seist du Maria den Namen Jesus oder den Namen Jesus Christus und ein Amen anzufügen. Das Gebet gewann somit folgenden Wortlaut: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus Christus. Amen.

Im Gebetbuche "Der Seelen Trost" vom Jahre 1474 wird das Gegrüßt seist du Maria dementsprechend schulmäßig in vier Teile: in den Gruß des Engels, den Gruß der Base Elisabeth, den heiligen Namen Jesus Christus und das Amen zerlegt. Alte Urkunden behaupten, dass Papst Urban IV. (1261-1264) auf das Gebet mit dem Zusatz Jesus Christus einen Ablass gegeben habe.

Den oben angeführten Wortlaut weist das Gegrüßt seist du Maria in einem 1498 zu Paris gedruckten Gebetbuche, in der Nachfolge Christi, und in fast allen Katechismen des 16. Jahrhunderts auf, die es überhaupt bringen.

In einzelnen abgelegenen Gegenden erhielt sich die Erinnerung an jene Zeit, da das Gegrüßt seist du Maria so gebetet wurde, bis in die letzten Menschenalter. Um das Jahr 1900 herum konnte man in den Alpen (z. B. im Zillertal und Allgäu) noch alte Frauen finden, die "Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus Christus" sagten, und in Irland kam es damals noch vor, dass einfache Leute, wenn ihnen der Priester bei der Beichte z. B. zehn Gegrüßt seist du Maria zur Buße aufgab, fragten , ob sie in diesem Falle das "Heilige Maria, Mutter Gottes"
auch beten müßten oder ob ein Gegrüßt seist du Maria ohne das Bittgebet genüge.

Der zweite Teil des Gegrüßt seist du Maria, das "Heilige Maria, Mutter Gottes" entstand auf dieselbe Weise wie der erste in Nachbildung liturgischer Gebete. Da dies aber erst viel später geschah, fällt auch die Verbindung dieses Bittgebetes mit dem bisherigen Gegrüßt seist du Maria und dem Rosenkranz in andere Jahrhunderte.


Das Aufkommen des Psalters aus 150 Gegrüßt seist du, Maria.

Als das Gegrüßt seist du Maria allgemein bekannt war, wurde das "körperliche Beten", zu dem man bisher das Vaterunser oder andere kurze Gebete verwendet hatte, auch auf dieses Gebet übertragen. In gewissem Sinne war das Gegrüßt seist du Maria hiefür besonders geeignet; es ist ja seiner Natur nach nicht ein eigentliches Gebet sondern nur ein Gruß an Maria. Das Grüßen hochgestellter Personen wurde aber jederzeit mit äußerlichen Ehrbezeugungen verbunden.

Wollte man eine längere Reihe, von Gegrüßt seist du Maria beten, so lag es nahe, hiefür die Zahl 150 zu wähle. 150 Vaterunser betete man ja an Stelle der 150 Psalmen der Heiligen Schrift, die der Anbetung und Verherrlichung Gottes galten. 150mal sprach man nun zum Lobe Marias, der seligsten Jungfrau, die Worte, mit denen sie vom Engel Gabriel, dem Boten Gottes, angeredet worden war. Menschen, die solches taten, wiederholten somit jenen Gruß, den der allwissende Gott selbst an Maria gerichtet hatte. Das konnte Maria doch nur freuen, und sie lohnte es gewiss durch ihre Fürsprache bei Jesus.

Dieser Gedanke war den Frommen und Heiligen des Mittelalters sehr vertraut. So sagt Hugo von Sancta Clara 0. P. (1263): "Wenn wir Maria also grüßen, ist sie nicht so unhöflich, uns nicht auch ihrerseits zu grüßen. Elisabeth wurde, als sie den Gruß hörte, vom Heiligen Geist erfüllt. Daher soll man Maria immer wieder grüßen, auf dass wir bei ihrem Gegengruß an uns auch mit Gnaden erfüllt werden." Albert der Große sagt: "Wir wollen einander (wir und Maria nämlich) oft grüßen. Wir wollen sie grüßen, weil wir nach ihrem Gegengruße verlangen."

Verschiedene Urkunden zeigen, dass die Sitte, 150 Gegrüßt seist du Maria zu beten, sich überallhin verbreitete. Vom Einsiedler Aybert im Hennegau († 1140) wird berichtet, er habe das Gegrüßt seist du Maria in der Form "Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" Tag für Tag 150mal gebetet. Bei den ersten 100 machte er eine Kniebeugung, bei den letzten 50 warf er sich zu Boden.

Einen verlässlichen Beweis für die Verbreitung der Übung, 150 Gegrüßt seist du Maria zu beten, bieten auch die alten Legenden. So erzählt eine schottische, Handschrift von Auchinlek (um 1310) über die "Entstehung des Psalters aus 150 Ave". Ein Jüngling war gewohnt, jeden Tag 50 Gegrüßt seist du Maria zu Ehren Unserer Frau zu beten. Da erschien ihm eines Tages Maria und sagte zu ihm, er solle diese 50 Gegrüßt seist du Maria dreimal im Tage - des Morgens, des Mittags und Nachts - beten und sie jeweils zehn für zehn an den Fingern abzählen und jede Zehnerreihe mit einem Hymnus an sie beschließen. Als sie so erschien, war sie gar armselig gekleidet und bedeutete ihm, das komme davon her, weil seine Gebete nicht länger seien. Der Jüngling gehorchte ihrer Weisung und betete von da an jeden Tag 150 Gegrüßt seist du Maria. Am siebenten, Tage zeigte sich ihm die seligste Jungfrau abermals:

Nach sieben Tagen unsere Frau
Wiederum kam voll Majestät,
Gekleidet wie Bräute am Hochzeitstag
Und dankte ihm für das Gebet.

In einer anderen, sowohl in England als auch in Frankreich verbreiteten Legende wird umgekehrter Weise erzählt: Eine Nonne habe trotz ihrer vielen Arbeit wohl täglich 150 Gegrüßt seist du Maria gebetet, sie aber jedes Mal voller Hast heruntergesagt. Da sei ihr die Muttergottes erschienen und habe ihr bedeutet es wäre ihr lieber, wenn sie nur 50 Gegrüßt seist du Maria, diese aber langsam und mit Sammlung beten würde. (Der Frau, der also widerfuhr, wird in der Legende der griechische Name Eulalia, die "Redefertige" gegeben. Die Legende gehört in ihrem Ansatze also wohl dem Süden an.) Im lateinischen Texte dieser Legende wird bemerkt, sie habe diese 150 Gegrüßt seist du Maria mit ebenso vielen "Veniae" gebetet, habe also bei jedem Gegrüßt seist du Maria eine Kniebeugung gemacht. Die Andacht dieser Frau stellt also wieder einerseits ein "körperliches Gebet" nach Art der altirischen Überlieferung und anderseits einen Rosenkranz im Sinne der späteren Zeit dar.

Näherhin berichtet dann die Legende, Maria habe dieser Ordensfrau versichert: "So, oft man mich mit dem englischen Gruße ehrt, fühle ich bei den Worten, ‚der Herr ist mit dir!' eine Freude in mir aufwallen, die sich mit, Worten nicht beschreiben lässt." Und während Maria also sprach, ging, so berichtet die Legende, etwas von dieser Freude auch auf die Nonne Eulalia über und machte sie selig.

In der mündlichen Überlieferung des Volkes erhielt sich bis in die jüngste Zeit ein Gebet, das sich mit dieser Lende merkwürdig nahe verwandt zeigt. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass das Gebet aus jener fernen Zeit von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben wurde und ursprünglich ein Wiederholungsgebet darstellte. Das Gebet lautet: Gegrüßt seist du, Maria! Gegrüßt seist du, Maria! So grüße ich dich 33.000mal! Es freuet dich in deinem Herzen und freuet mich in meinem Herzen, dass der Engel dich also gegrüßt hat!

Wie in der Legende, ist auch in diesem Gebete von der Freude Marias, die sie empfindet, so oft man den Gruß des Engels an sie richtet, und von der Freude die Rede, die den Beter erfüllt, der ihr diesen Gruß entbietet. Es fällt außerdem auf, dass in diesem kurzen Gebete das Gegrüßt seist du Maria zu Beginn wiederholt wird. Hält man sich all die alten Gebete mit Verneigungen und Kniebeugungen vor Augen, die in früheren Zeiten im Volke beliebt waren, so drängt sich einem dabei die Vermutung auf, dass zum ersten Gegrüßt seist du Maria einstens auch eine äußere Ehrenbezeugung gehörte.

In diesen Jahrhunderten gab es aber nicht bloß einzelne Laien, sondern auch ganze Verbände, die sich zum täglichen Beten von 150 Gegrüßt seist du Maria verpflichteten.

Als eine solche Vereinigung hat man sich die sogenannte, „Heerschar Christi" vorzustellen, die der, heilige Dominikus gründete. Hierher gehörte ferner jene Gebetsverbrüderung, die zu Piacenza im Jahre 1259 von den Dominikanern ins Leben gerufen und vom Papste Alexander IV. bestätigt wurde. Daneben bestanden noch viele ähnliche Vereinigungen. Diese Gebetsverbrüderungen stellten Vorformen der Rosenkranzbruderschaft dar, ohne die es vielleicht nie zur Gründung der allgemein kirchlichen Rosenkranzbruderschaft gekommen wäre.


3. Der Psalter aus 150 Glaubensaussagen

über Jesus Christus

Pius X. nennt im Vorworte zum neuen Brevier die Psalmen der Heiligen Schrift ein "sorgsam verschleiertes Bild des Erlösers Christi" Imago Christi studiose adumbrata. Gemäß diesem Satze betrachtete man bereits im Mittelalter die Psalmen als eine Reihe von Weissagungen auf Jesus und suchte das sorgsam verschleierte Bild zu enthüllen. Man reihte, von einem Psalme zum andern weiterschreitend und sie deutend, Aussagen über Jesus Christus und das Werk der Erlösung aneinander. Der neue stellvertretende Psalter erhielt dann den Titel "Psalterium Domini Nostri Jesu Christi", also Psalter Unseres Herrn Jesus Christus. Im Worte Psalter klang mit, dass es sich um etwas Feierliches und Liedhaftes, um Dichtung und Mystik, um Lobpreis und Dank- an den Herrn handelte.

Solch ein Psalter kam auf dem Wege zustande, dass man sich in die Worte der Psalmen und in die Berichte der Heiligen Schrift über Jesus vertiefte, sie einander gegenüberstellte und aufeinander bezog. Nur ein Mann, der sowohl mit dem wörtlichen als auch dem gleichnisweisen mystischen Sinn der Psalmen vertraut war, konnte für jeden einzelnen Psalm Beziehungen zu Jesus Christus, dem Erlöser, ausfindig machen. Ebenso musste jeder, der den Psalter las und allenfalls auswendig lernte, die Fähigkeit besitzen, die neue Sinndeutung zu erfassen, oder wenigstens den guten Willen haben, sich von andern darüber belehren zu lassen. Kurz gesagt: in diesen Psaltern ging schon von allem Anfang an so etwas mit, was man heute "Betrachten" heißt.

Das Betrachten an sich war damals nichts Neues, sondern hatte bereits eine Überlieferung hinter sich. In den Aufzeichnungen der hl. Katharina von Siena findet sich eine Anweisung, in der Jesus also spricht: "Bedenke wohl, meine Tochter, dass alle Geheimnisse, alle Handlungen, die mein ewiges Wort auf Erden allein oder mit den Jüngern vollbracht hat, nur das darstellen, was in den Seelen meiner Diener und aller Menschen vorgeht Aus jedem dieser Geheimnisse könnt ihre eine Lehre und eine Lebensregel ableiten. Ihr sollt sie betrachten im Licht der Vernunft. Ein jeder kann Nutzen daraus ziehen, wenn er will, das einfältigste Gemüt wie der scharfsinnigste Verstand, der einfachste wie der erhabenste Geist, jeder nehme für sich, was ihm entspricht und wessen er bedarf."

Verschiedene Heilige und Gottesgelehrte fühlten sich dazu angetrieben, solche Psalter zu verfassen: der heilige Edmund, Bischof von Canterbury († 1240), der heilige Stephan Langton, Kardinal und Bischof von Canterbury († 1228), Abt Engelbert von Admont († 1331), Wilhelm von Degeuville 0. Cist. († 1358), Hieronymus von Mondsee († 1457), Anton von Lantsee zu Basel, Abt Ulrich von Stöcklin von Wessobrunn († 1458). Stöcklin verfasste im ganzen 17 Psalter.

Da es nicht wenig Mühe kostete, einen solchen Psalter Unseres Herrn Jesus Christus zu verfassen, der sich an die Psalmen anschloss, ging man dazu über, 150 Lobsprüche auf Jesus Christus aneinanderzufügen, ohne sich um die Übereinstimmung der Sätze mit den einzelnen Psalmen zu kümmern. Für diese Ketten von Lobsprüchen über Jesus Christus nahm man dann den Verlauf des irdischen Leben Jesu zur Grundlage. So entwickelte sich der Psalter Unseres Herrn Jesus Christus zu einem Berichte über das Leben Jesu, der in kurzen Merksätzen die wichtigsten Begebenheiten von seiner Menschwerdung bis zu seiner Verherrlichung anführte.


4. Der Psalter aus 150 Lobsprüchen auf die
seligste Jungfrau Maria.

Wie man von der Sitte, einen Psalter von 150 Vaterunser zu beten, zu einem Psalter mit 150 Gegrüßt seist du Maria übergegangen war, so entstand neben dem eben angeführten Psalter Unseres Herrn Jesus Christus als Ergänzung dazu ein Psalter der seligsten Jungfrau Maria. In diesem Falle galt es, die seligste Jungfrau Maria auf die Weise zu verherrlichen, dass man einen Psalm nach dem andern auf Maria ausdeutete.

Eine Stelle aus dem Buch "Unserer Lieben Frauen Psalter" bezeugt, wie man im Mittelalter die Psalmen als ein verschleiertes Bild der Heilsordnung des Neuen Bundes und damit auch als ein Bild betrachtete, in dem man die Züge Marias finden konnte. Im eben angeführten Werke heißt es nämlich, der Psalter enthalte deshalb den 150 Psalmen entsprechend 150 Gegrüßt seist du Maria, weil in eben diesen 150 Psalmen "die würdige Jungfrau und Muttergottes sei gefigurieret – vorgebildet! - und pronunzieret - vorausverkündet! als die Wahrheit im Schatten - imago adumbrata! - und das Ende im Mittel und die Blust und die Frucht in den Bäumen.“

Einer der ältesten Psalter wird dem, heiligen Anselm zugewiesen. Als Beispiel für einen marianisch ausgedeuteten Psalm soll zunächst eine Probe aus diesem Werke folgen.

Der erste Psalm der Heiligen Schrift beginnt mit dem Satz:

"Selig der Mann, der nicht zum Rat der Frevler geht, der nicht am Wege der Sünder steht, noch in der Spötter Runde sitzt."

Im Psalter des heiligen Anselm lautet der gleiche Satz, auf Maria bezogen: "Sei gegrüßt, Mutter unseres Für, sprechers, der selig durch seinen Ratschluss, aus dem Hause des unversehrten Leibes hervorgeht wie aus einem Brautgemache."

Im Psalter des heiligen Stephan Langton wird der gleiche Vers wieder so gedeutet:

"Sei gegrüßt, Jungfrau der Jungfrauen, die ohne Zutun eines Mannes ein Kind empfing.

Bewirke, dass wir das Gesetz des Herrn gar oft betrachten und im Reiche seiner Herrlichkeit zur Seligkeit gelangen."

In einem anderen Psalter aus der gleichen Zeit lautet die Umformung wie folgt: "Selig ist der Mann, der das Gesetz Gottes betrachtet! Was soll man da erst von Maria sagen, die bei ihrer Aufnahme in den Himmel als Königin gekrönt wurde!"

Marianische Psalter gab es in großer Zahl und Auswahl; die Namen ihrer Verfasser blieben jedoch oft wie die der Schöpfer von Liedern unbekannt. Schöne Psalter wurden unter Umständen einem Heiligen zugeschrieben, dem man diese Ehre gönnte. Besonders weit  verbreitet waren die Psalter des hl. Edmund und des hl. Anselm von Canterbury. Berühmt war auch einer von einemMönche namens Theophilus aus dem Gebiete der Diözese Rouen. Psalter, deren Verfasser nicht angegeben werden konnte, bezeichnet man heute nach den Orten (z. B. nach Kremsmünster oder Reichenau), wo die Handschriften liegen.

Im, Psalter, der dem heiligen Bonaventura zugeschrieben wird, beginnen die Lobsprüche von 1 bis 50 jeweils mit dem Worte Ave (Sei gegrüßt!), die Lobsprüche von 51 bis 100 jeweils mit Salve (Sei gegrüßt!) und die von 102 bis 150 mit Gaude (Freue dich!). Diese Satzanfänge wurden von verschiedenen Psalterdichtern übernommen; sie gaben für die spätere Dreiteilung des Rosenkranzpsalters in einen freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen im voraus die Grundstimmung an und nahmen auf diesem Weg auch auf die Auswahl der Geheimnisse Einfluss.

Die Psalter, von denen bisher die Rede ging, wurden ursprünglich alle in lateinischer Sprache verfasst. Einzelne von ihnen, wie z. B. die Geheimnisreihen Stephan Worthingtons, erschienen lateinisch und englisch zugleich. Andere hat man nach der Veröffentlichung aus dem Latein in die Volkssprachen übersetzt.

Neben diesen Dichtungen gingen die Mariengrüße einher, die gleich von Anfang an in der Volkssprache entstanden. Die ersten 50 Grüße begannen da nach dem Beispiele des Bonaventura-Psalters öfters mit einem "Sei gegrüßt!", die folgenden 50 mit einem "Freue dich!" und die letzten 50 mit einem "Hilf uns!" oder ähnlich. Einzelne Psalter waren noch als körperliches Gebet gedacht: es wurde dem Leser z. B. auferlegt, die ersten neun Strophen mit einer Kniebeugung, die jeweils zehnte aber mit ausgespannten Armen zu beten.

Ein solcher Rosenkranz beginnt mit folgenden Worten:

Maria, Mutter, ich dich grüße!
Hilf, dass ich meine Sünden büße,
Die leider allzu viele sind,
Drum bitt für mich, dein liebes Kind!

Im übrigen machte der Psalter der seligsten Jungfrau dieselbe Entwicklung wie der Psalter Unseres Herrn durch. Man gab den engen Anschluss an die Psalmen der Heiligen Schrift auf und ging zu 150 freien Lobsprüchen auf Maria über. Heinrich von Kalkar z. B. verfasste ein Gedicht aus 150 abgezählten Worten zum Leben Marias und schloss es mit der Widmung: "Dreimal fünfzig Worte weihe ich dir, Maria. Nimm an das Psälterlein, so bitte ich dich, gütige Jungfrau!"

In späterer Zeit fügte man die einzelnen Aussagen zu Ehren der seligsten Jungfrau Maria so aneinander, dass sie ein Leben Marias ergaben.

Das Leben Jesu ließ sich als ein Psalter Unseres Herrn unmöglich darstellen, ohne dass man auch seine Mutter miteinbezog. Ebenso konnte man das Leben Marias nicht in  kurzen Aussagen erfassen, ohne in noch höherem Maße das Leben Jesu mitzuerwähnen. So gewann man zwei Darstellungsreihen, die innerlich miteinander verwandt waren und dieselben Aufnahmen gewissermaßen nur in verschiedener Belichtung zeigten. Dies war für die weitere Entwicklung des Rosenkranzes von Bedeutung.

Fügte man statt 150 Strophen zu Ehren Marias nur 50 aneinander, so nannte man eine solche Strophenkette ein "Rosarium". Das Wort Rosarium war im mittelalterlichen Latein sehr gebräuchlich. Der Gelehrte Arnold von Villanova bezeichnet einen Auszug aus den Schriften der alten Philosophen als ein Rosarium, als eine "Blumenlese", wie man sagen könnte. Guido de Bayiso, ein Rechtsgelehrter, findet sogar kein Bedenken, eine Sammlung kirchenrechtlicher Entscheidungen ein "Rosarium" zu heißen.

Mit Vorliebe gebrauchte man die Benennung "Rosarium" jedoch für Lobgebete. Der Hymnus „Jesus dulcis memoria" z. B. ist einem "Rosarium Jesu" entnommen, das ursprünglich 50 Strophen hatte und so einen "Rosenkranz" mit 50 gereimten Gebeten darstellte. Namentlich die Strophenketten auf die Mutter Gottes wurden als Rosarium bezeichnet. Von den Psalterien zu Ehren der Mutter Gottes und den Rosarien zu ihrem Lobe ging später dann der Name auf den Rosenkranz mit 50 Gegrüßt seist du Maria über.

 

Die Geschichte des Rosenkranzes
Teil II
(Franz Michel Willam; 1947)

 

IV.  Die Vereinigung der vier Einzelpsalter
zum Rosenkranz-Psalter.

            Die vier angeführten Psalter: das Psalterium aus 150 Vaterunser, das Psalterium zu Ehren der Mutter Gottes aus 150 Gegrüßt seist du Maria, der Psalter Unseres Herrn Jesus Christus mit 150 Aussagen über das Leben Jesu, und der Psalter der seligsten Jungfrau Maria mit 150 Aussagen über das Lebens Mariens sind, wie man sieht, unter sich nicht im gleichen Grade verwandt. Der Psalter mit 150 Vaterunser und der Psalter mit 150 Gegrüßt seist du Maria, einerseits und der Psalter mit 150 Aussagen über das Leben Jesu und Mariens, anderseits gehören als eigene Paare zusammen.

Es war nun für eine Zeit, die ständig gliederte und Gegliedertes zu neuen Einheiten verband, sehr naheliegend, das auch mit den vier Psaltern vorzunehmen.

Zunächst wurde der Psalter mit 150 Vaterunser mit dem Psalter von 150 Gegrüßt seist du Maria auf die Weise, zu einem neuen Psalter verbunden, daß man die Vaterunser und die Gegrüßt seist du Maria in einer bestimmten Reihe aufeinander folgen ließ. Das war eine ähnliche Umstellung, wie wenn man nach zwei Kirchen, von denen die eine lauter Pfeiler und eine Säule aufweist, eine dritte erbaut, in der Säulen und Pfeiler miteinander abwechseln.

Ehe man einen Rosenkranz bildete, in dem Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria vereinigt wurden, mußte man sich freilich schon daran gewöhnt haben, das Vaterunser und das Gegrüßt seist du Maria nebeneinander zu beten.

Von einerenglischen Urkunde, die dies für das 11. Jahrhundert bezeugt, war bereits bei den Ausführungen über  die Entstehung des Gegrüßt seist du Maria die Rede. Zu den ältesten und wichtigsten Zeugnisse für die Gepflogenheit das Vaterunser mit dem Gegrüßt seist du Maria zu vereinen, gehören die Lebensregeln der Reklusen und Inklusen. Reklusen wurden jene Einsiedler genannt, die nach einer kirchlich gutgeheißenen Regel lebten. Inklusen hießen jene Einsiedler oder Einsiedlerinnen, die sich in einer Zelle einkerkern ließen. Da es sich bei diesen Leuten um Laien handelte, verpflichtete man sie im voraus zu solchen Gebeten, die im Volke allgemein bekannt waren. Als Grundeinheit hierfür wählte man, wie sich zeigt, das Vaterunser und das Gegrüßt seist du Maria.

Wenn die Lesung richtig ist und sich nicht ein Einschub vorfindet, ist eine solclie Inklusenregel, die sogenannte Baumburgerregel, die auf das 12. Jahrhundert angesetzt wird, einer der ersten urkundlichen Nachweise dafür, daß an die 150 Vaterunser des Vaterunser-Psalters regelmäßig je ein Gegrüßt seist du Maria angefügt wurde. Auf alle Fälle ist diese Gebetsweise für eine mittelenglische Inklusenregel aus dem 13. Jahrhundert bezeugt. Nach ihr hatten die Einsiedler für Matutin und Vesper je 40 Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria, für die Laudes 50 Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria, für die Prim 12 Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria und für die kleinen Tagzeiten und die Komplet je 10 Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria zu beten. Auch andere Gebetsverpflichtungen, z. B. das Gebet für die Wohltäter bestand aus einer bestimmten (30) Anzahl von Vaterunsern und Gegrüßt seist du Maria.

Im Zisterzienserorden hatten die Laienbrüder neben dem Vaterunser und dem Gegrüßt seist du Maria auch noch das Credo jeden Tag öfters zu beten. Vielleicht ist davon die Sitte abzuleiten, beim Beten des Rosenkranzes den Glauben entweder im voraus oder im nachhinein zu beten.

In diesem Zusammenhange verdient auch der Abschnitt eines alten Wettersegens aus dem 15. Jahrhundert erwähnt zu werden. In ihm stehen die Gebete, aus denen sich der Rosenkranz zusammensetzt: das Vaterunser, das Gegrüßt seist du Maria und Geheimnisformeln in einem Anrufe an Maria, die Muttergottes, zu einem Gebete vereint nebeneinander.

Übersetzt man den lateinischen Text und schreibt die Kürzungen aus, so lautet er: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Christus, der Geborene, Christus, der Gelittenhabende, Christus, der Erstandene, Christus, der Regierende, Christus, der Herrschende. O König der Glorie komm mit dem Frieden! Vater unser. Gegrüßt seist du Maria.

Wie der Beter des 15. Jahrhunderts das Gegrüßt seist du Maria zu Beginn und die anschließenden Aussagen über Christus im Geiste zu einer Einheit zusammenfügten, entzieht sich unserer Kenntnis. Äußerlich gesehen, sind hier jedoch das Gegrüßt seist du Maria, das Vaterunser der Rosenkranzgeheimnisse miteinander verbunden. Tatsächlich gibt noch Grignion von Montfort in seinem "kurzen" Rosenkranze die Geheimnisse teilweise genau so an, wie sie hier an das Gegrüßt seist du Maria angeschlossen werden. Er sagt: Beim ersten Zehner des ersten Rosenkranzes bete man: „Jesus, der Menschgewordene“, beim zweiten: „Jesus, der Heiligende", beim dritten: "Jesus, das arme Kind, heim vierten: „Jesus, der Geopferte", beim fünften: „Jesus, der Heilige der Heiligen".

Es ist leicht möglich, daß dieser Abschnitt des Wettersegens an sich ein selbständiges Gebet bildete und hier nur eingeschoben wurde. In den älteren Wettersegenformeln steht das Vaterunser entweder allein oder es ist mit dem Credo verbunden.

Die Vereinigung von 150 Vaterunser und 150 Gegrüßt seist du Maria, die durch 15 Vaterunser wie durch Pfeiler in Zehnereinheiten gegliedert werden, geht, soweit sich das urkundlich feststellen läßt, auf Heinrich Kalkar am Unterrhein zurück. Er war Visitator des Karthäuserordens und hielt sich meistens in Köln auf und starb daselbst im Jahre 1408. Durch die Karthäuser kam diese Betweise auch nach England. Eine Aufschreibung vom Jahre 1440 bezeugt, daß die Schüler des Eton-Collegs täglich den ganzen Psalter der seligsten Jungfrau Maria, bestehend aus 15 Vaterunser und 150 Gegrüßt seist du Maria, zu beten hatten.

Der Gedanke, das Psalterium Unseres Herrn Jesus Christus und das seiner Mutter Maria aneinanderzufügen, lag an sich schon nahe. War es doch geradezu unmöglich, in einer erzählenden Darstellung das Leben Jesu und das Leben Marias vollständig voneinander zu trennen.

Die Verbindung der Psalter vom Leben Jesu und vom Leben Marias mit den Psaltern aus 15 Vaterunser und 150 Gegrüßt seist du Maria kam über einen neuen Ansatz zustande. Dominikus Prutenus fügte zwischen 1410 und 1439 an die 50 Gegrüßt seist du Maria eines Rosenkranzes ohne Vaterunser 50 Aussagen über das Leben Jesu und Maria jener Art an, wie sie dem Psalter Unseres Herrn Jesus Christus und dem Psalter der seligsten Jungfrau eigen waren. Demgemäß umfaßten die 50 Geheimnisse seines Rosenkranzes das ganze Leben Jesu: 14 davon behandelten das verborgene Leben, 6 das öffentliche, 22 das Leiden, 6 die Verherrlichung Christi und Marias Krönung im Himmel.

Das erste Gegrüßt seist du Maria mit Zusatz lautete: "Gegrüßt seist du Maria, du bist voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedelt ist die Frucht deines Leibes Jesus, Christus, den du durch des Engels Botschaft vom Heiligen Geiste empfangen hast. Amen."

Der Zusatz zum letzten Gegrüßt seist du Maria lautet: "Der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste und Dir, seiner glorreichen Mutter regiert, unbesiegt und glorreich in Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen."

Für diese Betweise setzte sich der Vorgesetzte des Mönches Prutenus, der Prior Adolf von Essen († 1439) mit allem Eifer ein.

Dominikus Prutenus hatte, wie bemerkt, bei seiner Geheimnisreihe nur einen Rosenkranz von 50 Gegrüßt seist du Maria ohne Vaterunser vor Augen. Ein neuer Fortschritt in der Entwicklung ergab sich daraus, daß man die 50 Gegrüßt seist du Maria mit den 50 Gesetzlein der Betweise anglich, die Heinrich von Kalkar eingeführt hatte. Somit ergab sich ein Rosenkranz, bei dem fünfmal hintereinander nach je einem Vaterunser zehn Gegrüßt seist du Maria mit je zehn Geheimnissen folgten. In dieser Form wurde der Rosenkranz des Dominikus Prutenus im Jahre 1518 von St. Gallen aus in der Volkssprache verbreitet.

Der Rosenkranz des Dominikus Prutenus wird von den Pilgern zum Grabe des heiligen Matthias in Trier heute noch in der ursprünglichen Anreihung der 50 Geheimnisse gebetet. Das ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie sich alte Gebetsweisen als örtliche Andachten durch Jahrhunderte forterhalten.

Nun aber bestand der Psalter, wie alle wußten, aus drei Rosenkränzen. So dauerte es denn auch nicht lange, bis man die neue Betweise auf den ganzen Psalter übertrug, und die Aussagen über das Leben Jesu und Leben Maria auf 150 Gesetzlein erweiterte.

Ein neuer Ausbau des Rosenkranzes erfolgte auf die Weise, daß man an die Geheimnisse eine eigene Bitte, eine Gebetsmeinung anfügte. Der Beter wurde hierdurch in noch höherem Maße zu Betrachtung und Selbsteinkehr angeleitet.

Der Zusatz zum ersten Gegrüßt seist du Maria lautet in diesem Falle z. B.:
"Den du empfangen hast vom Heiligen Geiste, nicht durch die fleischlichen Werke.
Er (Jesus) erfülle mit seiner Gnade, seiner heiligen Furcht. Amen. "

Der Zusatz zum zweiten Gegrüßt seist du Maria hieß:
"Nach dessen Empfängnis du hinaufgestiegen bist ins Gebirge.
Er (Jesus) mache, daß wir alle Eitelkeit verachten. Amen."

In vorliegenden Ausführungen wurden die verschiedenen Entwicklungszwischenstufen des Rosenkranzes nacheinander angeführt. Man darf aber ja nicht meinen, diese seien in der Weise aufeinander gefolgt, daß mit dem Auftreten einer Neuerung die alten Formen sogleich verschwunden wären. Für alle Bräuche und damit auch für alle Betsitten des Volkes gilt ja immerdar die geheime Regel, daß ein Brauch, ein Gebet, ein Lied erst dann voll in die Überlieferung eingeht, wenn die ältesten Leute schon in ihrer Jugend damit aufgewachsen sind; und ein Brauch, ein Gebet, ein Lied erst dann endgültig aus der Überlieferung verschwindet, wenn die ältesten Leute, die davon wissen, gestorben sind. Daher nimmt sowohl die volle Einführung eines Volksbrauches als auch das volle Verschwinden eines solchen rund 100 Jahre in Anspruch.

Zur Zeit, als Peter Alain de la Roche die "Bruderschaft des Psalteriums Jesu und Maria" gründete (1470), war z. B. der Psalter aus den 150 Gegrüßt seist du Maria ohne Geheimnisse noch bekannt. Das beweist eine Stelle aus seinem Werke, die beide Gebetsformen, den "alten Rosenkranz" und den "neuen Rosenkranz" miteinander vergleicht und die Mutter Gottes selbst den "neuen" für besser erklären und also sagen läßt: "Es ist ein sehr schönes, nützliches Gebet, ein Dienst, der mir sehr angenehm ist, 150mal den Englischen Gruß zu beten. Der Englische Gruß ist mir aber noch mehr und man tut noch viel besser daran, wenn man ihn unter Betrachtung des Lebens, Leidens und der Glorie Jesu Christi betet. Denn die Betrachtung ist die Seele dieser Gebete."

Für die schwebende Frage bleibt es belanglos, ob die Worte der Muttergottes an Alain in einer wirklichen Erscheinung der Mutter Gottes gesprochen worden sind, oder ob er damit nur in anschaulicher Weise von einer inneren Erleuchtung oder etwas Ähnlichem berichten will oder einfach Legenden in eigener Person dichtet. Tatsache ist auf alle Fälle, daß man damals noch einen Psalter betete, der nur aus einer Reihe von 150 Gegrüßt seist du Maria bestand, und daß Alain diesen "alten" Rosenkranz zugunsten des "neuen" Rosenkranzes mit 150 Gegrüßt seist du Maria und 150 Geheimnissen hintansetzte.

Der Schluß dieses Abschnittes bietet eine kurze Übersicht über die verschiedenen Rosenkranzarten, die sich so von den einzelnen Orden und Gegenden aus entwickelten und nach allen Seiten verbreiteten. Wenn dieser oder jener sich beim Weiterlesen mit den vielen Abarten von Rosenkränzen kaum mehr auskennt, so möge er nicht der Ungeduld nachgeben, sondern sich vor Augen halten, daß es den Menschen der vergangenen Jahrhunderte eben auch nicht anders ergangen ist.

Zunächst blieb der Rosenkranz aus nur 50, beziehungsweise nur 150 Vaterunsern, der Rosenkranz aus 50, beziehungsweise 150 Gegrüßt seist du Maria und der Rosenkranz aus 50, beziehungsweise 150 Gegrüßt seist du Maria samt 50, beziehungsweise 150 angeschlossenen Geheimnissen in Übung. Daneben gab es Rosenkranzarten, die in Anlehnung an die 12 Sterne der geheimen Offenbarung je 12 Gegrüßt seist du Maria aneinanderreihten und demgemäß je nach der Zahl ihrer Gesetzlein 24, 36, 60 oder 180 Gegrüßt seist du Maria aufwiesen. Bei einem andern Rosenkranze fügte man sowohl zu jedem Gegrüßt seist du Maria als auch zu jedem Vaterunser ein Geheimnis hinzu und kam so zu 165 Geheimnissen. Ein Rosenkranz zählte sogar 200 Geheimnisse.

Nachdem man sich an die Rosenkranz-Betweise gewöhnt hatte, stellte man aber auch noch andere Andachten darauf um. So entstand z. B. der sogenannte Rosenkranz der heiligen Brigitta. Er zählt in Anlehnung an die 63 Lebensjahre, die der Mutter Gottes zugeschrieben wurden, 63 Gegrüßt seist du Maria.

Wenn dieser Rosenkranz den Namen der heiligen Brigitta trägt, so hat es damit eine ähnliche Bewandtnis wie beim andern Fall, wenn man den gewöhnlichen Rosenkranz vom heiligen Dominikus ableitet. In den alten Lebensbeschreibungen der heiligen Brigitta, die verhältnismäßig viel von ihrem persönlichen religiösen Leben berichten, wird diese Betweise mit keiner einzigen Silbe erwähnt. Wohl aber läßt sich aus ihren Offenbarungen für die seligste Jungfrau Maria ein Lebensalter Marias von 63 Jahren errechnen. Die Offenbarungen Brigittas standen nach ihrem Tode in höchstem Ansehen und waren sehr weit verbreitet. Es bedeutet durchaus nichts Ungewöhnliches, wenn unter solchen Umständen der Rosenkranz mit den 63 Gegrüßt seist du Maria nach ihr benannt wurde.

Die erste Urkunde für das Vorhandensein eines Rosenkranzes mit 63 Gegrüßt seist du Maria bildet ein Grabstein in Oberösterreich, der im Jahre 1427 Andrew Hörleinsperger und seiner Hausfrau zum Gedenken errichtet wurde. Auf diesem Denkmale ist ein Rosenkranz mit 63 Perlen zu sehen. Die Anbringung des Rosenkranzes auf dem Grabmale der beiden Ehegatten setzt voraus, daß die beiden Ehegatten zu ihren Lebzeiten einen solchen Rosenkranz besessen und viel gebetet hatten. Der Ort, wo sich dieser Grabstein befindet, heißt Klein-Efferding.

Will man daran festhalten, daß der Rosenkranz mit den 63 Geheimnissen wirklich von der heiligen Brigitta stamme, so müßte man also annehmen, daß die Gebetweise der Heiligen in Oberösterreich schon bald nach ihrem Tode bekannt und beliebt worden sei. Nur in dem Falle könnte es sich ja gut machen, 1427 einen Rosenkranz mit 63 Perlen auf ein Grabmal zu geben. Nun aber war Brigitta damals noch gar nicht so lange tot - sie ist im Jahre 1373 zu Rom gestorben. Unter solchen Umständen verdient die Annahme den Vorzug, daß die Gebetweise nicht unmittelbar auf die heilige Brigitta zurückgeht, sondern durch die Offenbarungen dieser Heiligen nur an Ansehen gewann und auch nach ihr benannt wurde.

Der Brigittenrosenkranz zählte anfänglich, wie bemerkt, nur 63 Gegrüßt, seist du Maria. Wie man jedoch zum Rosenkranz aus nur 50 Gegrüßt seist du Maria später zu jedem Gegrüßt seist du Maria ein Geheimnis hinzufügte, so schloß man auch beim Brigittenrosenkranz an jedes Gegrüßt seist du Maria, ein Geheimnis aus dem Leben Jesu an. Einen Rosenkranz dieser Art verfaßte z. B. der Engländer Worthington und ließ ihn im Jahre 1600 zu Antwerpen veröffentlichen.

Ein anderer Rosenkranz erinnerte mit 33 Vaterunser an die 33 Lebensjahre Jesu. Auch dieser Rosenkranz wurde später mit Geheimnissen versehen. Das gleiche Gebetbuch von Worthington, in dem sich die 63 Geheimnisse zum Rosenkranz der heiligen Brigitta finden, enthielt auch einen solchen Rosenkranz mit 33 Vaterunsern und 33 entsprechenden Geheimnissen.

Vom Rosenkranze der 63 Lebensjahre der Gottesmutter und allenfalls auch vom Rosenkranz der 33 Lebensjahre Christi leiten sich das Vaterunser und die drei Gegrüßt seist du Maria ab, die heute dem Rosenkranze vorangesetzt oder angefügt werden. Das Rosenkranzbuch des P. Heinrich Bödeker (erster Druck im Jahre 1685) hat für diese drei Gegrüßt seist du Maria die Zusätze: .... "welcher uns mehre den rechten Glauben, welcher uns mehre die starke Hoffnung, welcher uns mehre die ewige Liebe", (zunächst für den ersten Rosenkranz) empfohlen. Diese Gebetsmeinungen sind in Übung geblieben.

Durch Zusammenzählen der Lebensjahre Jesu und Maria erhielt man einen Rosenkranz mit 96 Gegrüßt seist du Maria. Ein anderer Rosenkranz zählt 32 Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria; einer 5 Vaterunser und 5 Gegrüß seist du Maria (das Gebet zu den fünf Wunden, das im Volke heute noch gebräuchlich ist); einer 49 Gegrüßt seis du Maria; einer ein Vaterunser und vier Ehre sei dem Vater und zehn Gegrüßt seist du Maria; einer dreimal zehn Ehre sei dem Vater (dieser lebt heute noch im "englischen Rosenkranze" fort).

Im Laufe der weiteren Darstellung wird sowohl eine Geheimnisreihe mit 63 als auch eine solche mit 150, beziehungsweise 165 Geheimnissen aufscheinen. Daher genüg hier die Anführung der Rosenkranzarten, die nacheinander aufkamen, nebeneinander einhergingen und untereinander sich in mannigfacher Weise verbanden und so in immer zahlreichere Formen ausspalteten.

 
V.

Die Aufnahme des Rosenkranzes unter die allgemein kirchlichen Andachten.
Die Gründung der Bruderschaft vom Psalter Jesu un Maria
 durch Alain de la Roche zu Douai im Jahre 1470.

Im Jahre 1470 gründete der selige Alain de la Roche ein Dominikaner, der um 1428 in der Bretagne geboren wurde und als Visitator des Dominikanerordens von Polen bis Frankreich tätig war und im Jahre 1475 starb, zu Douai in Nordfrankreich "die Bruderschaft des Psalteriums Jesu und Maria" und suchte in Rom um ihre Bestätigung an.

Die neugegründete Bruderschaft unterschied sich rechtlich von den Mariengilden, die in den Jahrhunderten zuvor ins Leben gerufen worden waren und damals in großer, Zahl bestanden. Das galt auch für den Fall, wo diese Vereinigungen, wie das vorkam, ihre Mitglieder zum täglichen Beten des Rosenkranzes verpflichteten. Wohl aber sind in der Folgezeit vermutlich viele solche Gilden in Rosenkanzbruderschaften umgewandelt worden.

Dem Werke des seligen Alain de la Roche lag der Plan zugrunde, den Laienorden der Brüder und Schwestern des heiligen Dominikus in eine allgemein kirchliche Bruderschaft umzuwandeln.

Alain konnte von Einrichtungen, die er ringsum bestehen sah, auf diesen Gedanken kommen. Nach dem früher angeführten Beispiel von St. Gallen und Reichenau hatten sich im Laufe der Jahrhunderte nicht bloß zwei oder drei, sondern ganze Gruppen von Klöstern zu Gebetsgemeinschaften zusammengeschlossen, die unter einem bestimmten Kloster wie unter einem Vororte standen. Es ließ sieh, so dachte sieh Alain, eine Gebetsgemeinschaft schaffen, die als ihren Vorort nicht dieses oder jenes Kloster, sondern Rom selbst, die Mitte der Christenheit, hatte und über Rom allen Christen in gleicher Weise zugänglich war.

Doch die Sache selbst stellte immerhin eine Neuerung dar und fand in einer Zeit, die alles in abgegrenzte, rechtliche Bereiche einzuordnen und allenfalls auch abzusperren strebte, nicht ohne weiteres Beifall. Einerseits blieb ja die Bruderschaft vom Psalter Jesu und Maria ähnlich wie bisher eine Angelegenheit des Dominikanerordens; anderseits trat sie als eine Einrichtung allgemein-kirchlicher Art unter die Gesetzgebung der Kirche.

Vielleicht war dieser Umstand ein Grund dafür, daß die Bruderschaft von Rom nur mit Zögern gutgeheißen wurde. Die erste Bruderschaft des Psalteriums Jesu und Maria, die eine kirchliche Bestätigung erhielt, war nämlich gar nicht die von Douai, sondern jene von Köln, die im Jahre 1474 entstand. Und diese erhielt die päpstliche Genehmigung nicht auf die Bitten eines Ordens, sondern auf Drängen des Kaisers Friedrich III.

Aus den Urkunden, die von dieser Begebenheit berichten, welit uns ein Hauch der alten Zeit entgegen. Man fühlt geradezu, wie sich die damalige Marienverehrung in der Rosenkranzbruderschaft eine ihr gemäße öffentliche Form schuf.

Im Jahre 1474 sah es am Rhein allerwärts nach Krieg aus. Da wurde auf Anregung des Ordensvorstandes der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner Jakob Sprenger zu Köln ein neuer Rosenkranzaltar errichtet und beschlossen, eine Rosenkranzbruderschaft nach dem Beispiele jener, die Alain de la Roche fünf Jahre vorher (1470) zu Douai ins Leben gerufen hatte, zu gründen. Als im Mai des kommenden Jahres der Friede zustande kam, wurde man sich unter Gutheißen des päpstlichen Nuntius darin einig, die Einführung der Rosenkranzbruderschaft zu einer großen Dankfeier zu gestalten. Als Tag hiefür wurde das Fest Maria Geburt festgelegt.

An Maria Geburt zog nun der Kaiser und der Nuntius an der Spitze der ersten Fürsten und der geistlichen Würdenträger des Reiches und der Vertreter der Stadt Köln in die Kirche der Dominikaner. Nachdem der Nuntius das goldstrahlende Marienbild geweiht hatte, wurde ein Buch aufgelegt, in dem sich, wer nur wollte, in die Bruderschaft vom Rosenkranze eintragen konnte. Kaiser Friedrich eröffnete die lange Reihe der Namen und trug seinen eigenen Namen" den seiner Gemahlin Eleonore und den seines Sohnes Maximilian ein. Ihm folgen Männer und Frauen aus allen Ständen. Nach dem Pontifikalamte des Nuntius wandte sich der Kaiser an ihn und bat ihn, beim Papste die Bestätigung der Bruderschaft zu erwirken.

Zur Erinnerung an diese Feier wurde ein Gedenkbild gemalt. Es stellte dar, wie Papst und Kaiser und alle anderen Vertreter der Christenheit vor der Muttergottes knien; sie tragen den Rosenkranz in den Händen und beten, den Blick zu Maria erhoben. Maria ihrerseits hält noch weitere Rosenkränze bereit, um sie an jene auszuteilen, die darnach verlangen.

Die Bruderschaft des Psalter Jesu und Marias, die von Alain de la Roche im Jahre 1470 gegründet worden war, hatte damals die päpstliche Bestätigung noch nicht bekommen, und Alain de la Roche selbst starb zu Zwolle am 8. September, also am gleichen Tage, da zu Köln das großartige Fest gefeiert wurde. Alain kam daher als Betreiber der guten Sache nicht mehr in Frage; der Kaiser Friedrich nahm den Plan, der Alain so am Herzen legen war, gleichsam von dessen Todbette auf.

Wie in der Rosenkranzbruderschaft die Verehrung zu Maria, die damals im Volke lebte, eine feste äußere Form gewann, das bezeugt das Preisgedicht des dänischen Dichters Michael auf den Rosenkranz. Es erschien im Jahre 1496, also bald nach der Bestätigung der Rosenkranzbruderschaft von Köln, in Druck. Das Werk beruht wie viele andere Schriften der gleichen Zeit auf der sogenannten "Materia Alani". Darunter verstand man die Schriften des Alain de la Roche, die sich auf den Rosenkranz bezogen.

Gleich zu Beginn der Dichtung erfahren wir, daß die Bewegung, die sich in Dänemark ausbreitete, auf die Bruderschaft, der Stadt Köln zurückführte. Der Herr Michael, wie er sich nennt, erzählt, wie im Jahre 1478 der Herzog Franz von der Bretagne mit seiner Gemahlin Margaretha auf einer Pilgerfahrt nach Rom beim Papste Sixtus IV. vorstellig wurde und ihn über den Rosenkranz befragte. Alles in Dänemark trage jetzt einen Rosenkranz um den Hals oder an der Hand und bediene sich desselben beim Beten. Für den Herzog selbst war das aber noch eine "Nymäre", also etwas Neues. Der Papst gab ihm Aufschluß und bewilligte auf seine Bitten für das Beten des Rosenkranzes gewisse Ablässe. In der Strophe, die das festhält, weist der Dichter auf die päpstliche Bestätigung der Bruderschaft von Köln hin:

"Sixtus, als Papst der Vierte genannt,
Tut allen zu Nutz und Frommen bekannt,
Daß die Bruderschaft er errichtet,
Die aufgenommen zu Köln der Stadt,
In dem Predigerorden, und Ablaß hat,
Wer gut die Gebete verrichtet.

Mit frommem Sinn Gott selbst zu loben
Und Maria, seine Mutter, gar hoch erhoben,
An Marias größten Hochzeiten,
Mariä Geburt und Verkündigung
Und wo sie gen Himmel nahm den Schwung,
Gott wird ihnen Gnade bereiten."


Im Anschluß an diese Verse fordert er die verschiedenen Orden, die Dominikaner, "die schwarzen Brüder", die Franziskaner, "die grauen Brüder", und die Mitglieder der Übrigen Orden, ebenso "die Wanderprediger", die "Priester, die Kirchen und Pfarren haben", auf, für dieses Gebet zu werben. Den Priestern empfiehlt er außerdem, neben dem Brevier wenigstens jede Woche einen Psalter zu beten.

In diesem Gedicht des Herrn Michael wird auf das Verhältnis zwischen mündlichem Gebet und innerer Betrachtung in einer Weise eingegangen, daß es geradezu modern anmutet und z.B. an Ausführungen im Rosenkranzbuche von Maisie Ward erinnert. Herr Michael erklärt, daß es am besten wäre, man könnte sich in die Geheimnisse vom Leben des Erlösers und seiner gebenedeiten Mutter ohne alles mündliches Beten versenken und darin verweilen. Der unstete Geist der Menschen ist solcher rein innerlichen Beschauung jedoch nicht fähig. Das mündliche

Gebet soll ihn daher nach außenhin gewissermaßen abschließen und so eine Hilfe dafür bilden, daß er gesammelten Sinnes bleibe. Er sagt:

Könnte man ihn beten zu einer Zeit.
Ohne daß sich der Gedanke zerstreut,
Das wäre wohl sehr zu Frommen.
Doch das Herz ist unstät zu jeder Zeit,
Zu den weltlichen Dingen läuft es so weit,
Viel kann in den Sinn einem kommen.

Drum frommt es sehr, man rühret den Mund,
Dann steigt das Gebet aus Herzens Grund,
Das läßt uns Alanus verstehen.
Bete das teure Gebet am Band,
Das Herz sei der Jungfrau zugewandt,
Im Himmel dann wirst du sie sehen.


Das Gedicht Herrn Michaels bildet auch die älteste Urkunde, aus der man etwas über das Verhältnis von Rosenkranz und Messe erfährt. Michael sagt:

„Besonders der Bruderschaft Mitglieder,
Wo immer sie sich lassen nieder,
Jede Woche sollen sie "lesen“
Drei Rosenkränze, das ist ein Psalter hell,
Jeder Rosenkranz ist davon ein Teil,
Zu den Horen, oder auch den Messen.“

 

Einzelne Gruppen von Gläubigen und wohl auch von Priestern hatten das Gefühl, daß der Rosenkranz als ein Gegenstück zu den Psalmengebeten der Priester eigentlich nicht in die hl. Messe gehöre. Herr Michael setzte sich mit ihnen auseinander und wies darauf hin, daß der Rosenkranz auf lauter passenden Gebeten bestehe.

Auf die Gründung der Rosenkranzbruderschaft zu Köln folgten rasch weitere Gründungen: die Bruderschaft zu Lissabon (1478), zu Schleswig (1481), in Ulm (1483) und zu Frankfurt (1486). Die Bruderschaft der Stadt Köln, in deren Liste der Kaiser Friedrich als erster sich hatte eintragen lassen, zählte im Jahre 1489 bereits 100.000 Mitglieder.

Die Rosenkranzbruderschaft blieb auch weiterhin in besonderer Weise mit dem Dominikanerorden verbunden. Ein Ausdruck für diese geschichtliche Tatsache ist schließlich auch die Legende, die, die Entstehung des Rosenkranzgebetes unmittelbar auf den heiligen Dominikus zurückführt.

Kardinal Schuster bemerkt in seinem großen Werke, dem "Liber Sakramentorum", diesbezüglich folgendes: Die ersten Biographen des heiligen Dominikus sagen nicht, daß
Heilige den Rosenkranz erfunden habe; denn das Gebet ist viel älter. Der erste, der dem hl. Dominikus dieses Verdienst zuschreibt, ist Alain de la Roche gegen Ende, des 15. Jahrhunderts. Dem Dominikanerorden gebührt jedoch der Ruhm, das Gebet mit solchem Erfolg verbreitet zu haben, daß es bald die beliebteste Andacht in der Christenheit wurde.

Auf welche Weise die Dominikaner die Gläubigen den Rosenkranz nicht bloß äußerlich beten lehrten, sondern sie auch mit einem Geiste erfüllten, daß sie ihn auch gut beteten, zeigt folgende Verordnung aus dem "Speculum fratrum praedieatorm": "Wir schreiben den gewöhnlichen Sonntagspredigern unserer Kirchen vor und geben ihnen die Weisung, an allen Monatssonntagen eine Predigt über den Rosenkranz zu halten. Dabei sollen sie den Rosenkranz entweder als Ganzes oder einen Teil davon mit dem Ziele behandeln, daß der Eifer in der Pflege dieser Andacht zunehme. Sie sollen ihr Augenmerk nicht bloß darauf richten, daß der Rosenkranz gebetet werde, sondern seine Geheimnisse dem christlichen Volke in Darlegungen nahebringen, die, auf die Einzelheiten derselben eingehen."

Zu den Verdiensten der Dominikaner gehört es auch, daß sie der Frage nachgingen, auf welche Weise der Rosenkranz sich als mündliches Gemeinschaftsgebet einführen ließe, und den richtigen Weg hierfür fanden. Ein eigener Abschnitt wird zeigen, wie der heute in der gesamten Kirche gebetete Rosenkranz mit den 15 Geheimsamten durch ihre Bemühungen` zu dem wurde, was er heute ist.

 

VI.

Ein Beispiel für das "Lesen" des Rosenkranzes in alter Zeit.

Wenn man von 50, 150 oder gar 200 Rosenkranzgeheimnissen hört, fragt man sich unwillkürlich, welche Begebenheiten aus dem Lebe» Jesu zu den uns geläufigen 15 Geheimnissen dazugenommen wurden und wie man einen Rosenkranz mit so vielen Geheimnissen gemeinschaftlich betete.

In einem Orte der Alpen hat sich aus dem Mittelalter ein alter Rosenkranz mit vielen Geheimnissen unter dem Namen der "Goldene Rosenkranz" oder "die Krone Christi" bis auf den heutigen Tag erhalten.

Wenn in der Kirche jenes hochgelegenen Bergdorfes dieser Rosenkranz gebetet wird, gewinnt man eine lebendige Anschauung davon, wie man im Mittelalter die Rosenkränze mit den langen Geheimnisreihen betete. Da die Leute sich solche Ketten von Geheimnissen nicht wörtlich merken konnten und auch der Vorbeter seiner Sache sicher sein mußte, wurden die alten Rosenkränze nicht gebetet, sondern "gelesen". Der Beter hatte eine gedruckte oder geschriebene Liste der Geheimnisse vor sich. Demgemäß spricht z. B. auch der dänische Dichter Michael vom "Lesen" des Psalters. Genau so wird es in dieser Kirche auch heute noch gehalten. Der Vorbeter, ein Laie, steigt auf die Kanzel und liest die Geheimnisse von der gedruckten Vorlage ab.

Der „Goldene Rosenkranz", der hier Sonntag für Sonntag vor dem Hauptgottesdienste gebetet oder "gelesen" wird, weist 63 Geheimnisse auf. Er geht unmittelbar oder mittelbar wohl auf den Rosenkranz zurück, der, wie schon früher bemerkt wurde, den Engländer Stephan Worthington zum Verfasser hat. An Worthington erinnert auch der zweite Name dieses Rosenkranzes, die Bezeichnung "Krone Christi", die sich erhalten hat. So war seinerzeit von Worthington im gleichen Gebetbuche, durch das der Rosenkranz mit den 63 Geheimnissen verbreitet wurde, der Rosenkranz von den 33 Lebensjahren Jesu genannt worden.

Mögen die näheren Zusammenhänge wie immer geartet sein, auf jeden Fall führt uns der "Goldene Rosenkranz" in der Gestalt, wie er heute noch in Übung ist, in die alte Zeit zurück, wo man den Rosenkranz noch "gelesen" hat.

Wenn hier die Liste dieser 63 Geheimnisse folgt, so soll damit nicht bloß der Geschichte gedient sein, sondern den Lesern zugleich 'Gelegenheit geboten werden, die heute üblichen 15 Geheimnisse mit neuen Einzelvorstellungen zu bereichern.

Die Geheimnisse des "Goldenen Rosenkranzes" lauten:

1. Reihe.

1. Der dich von Ewigkeit auserwählt hat.
2. Der dich von der Erbsünde unbefleckt bewahrt hat.
3. Der dich mit allen Gnaden erfüllt hat,
4. Dem du im dritten Jahre im Tempel aufgeopfert worden bist.
5. Dem du deine Jungfrauschaft gelobt hast.
6. Durch den du mit dem gerechten Josef vermählt warst.
7. Der dich durch den Erzengel Gabriel gegrüßt hat.
8. Den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geiste empfangen hast.
9. Den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast.
10. Der deine Unschuld dem hl. Josef geoffenbart hat.


2. Reihe.

1. Den du, o Jungfrau, geboren hast.
2. Der durcheinen Engel den Hirten verkündet worden ist.
3. Der am achten Tage beschnitten und Jesus genannt worden ist.
4. Der von den Weisen aus dem Morgenlande angebetet worden ist.
5. Den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast.
6. Den Simon als das Heil der Welt gepriesen hat.
7. Mit dem du nach Ägypten geflohen bist.
8. Den du verloren und mit Schmerzen gesucht hast.
9. Den du nach drei Tagen im Tempel wieder gefunden hast.
10. Der dir untertan gewesen ist.


3. Reihe.

1. Der von Johannes getauft worden ist.
2. Über den der Heilige Geist herabgekommen ist.
3. Dien Gott Vater als seinen Sohn verkündet hat.
4. Der 40 Tage und Nächte gefastet und gebetet hat.
5. Der von Satan dreimal versucht worden ist.
6. Der Apostel und Jünger auserwählt hat.
7. Der die Sünder zu Gnaden aufgenommen hat.
8. Der große Wundertaten gewirkt hat.
9. Der Zukünftiges vorausverkündet hat.
10. Der vor seinem Leiden in Jerusalem triumphierend eingezogen ist.


4. Reihe.

1. Der mit seinen Jüngern das Osterlamm genossen hat.
2. Der seinen Jüngern die Füße gewaschen hat.
3. Der das allerheiligste Altarssakrament eingesetzt hat.
4. Der mit seinen Jüngern an den Ölberg gegangen ist.
5. Der dreimal gebetet und Blut geschwitzt hat.
6. Der in der Todesangst von einem Engel gestärkt worden ist.
7. Den. der Judas verraten und der von der Rotte gefangen worden ist.
8. Der zu Annas und Kaiphas geführt worden ist.
9. Den Petrus, dreimal verleugnet hat.
10. Der den Petrus durcheinen Blick zur Reue bewogen hat.


5. Reihe.

1. Der vor Pilatus und Herodes falsch angeklagt worden ist.
2. Den Herodes in einem weißen Kleide verspotten ließ.
3. Der für uns gegeißelt worden ist.
4. Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist.
5. Der grausam mißhandelt dem Volke vorgestellt worden ist.
6. Der unschuldig zum Tode verurteilt worden ist.
7. Der für uns das schwere Kreuz getragen hat.
8. Der unter dem Kreuze dreimal gefallen ist.
9. Der für uns entblößt und ans Kreuz geschlagen worden ist.
10. Der für uns am Kreuze gestorben. ist.


6. Reihe.

1. Der siegreich von den Toten auferstanden ist.
2. Der seinen Jüngern erschienen ist.
3. Der die Apostel zu seinen Stellvertretern bestimmt hat.
4 Der den Petrus zum Oberhaupte auserwählt hat.
5. Der glorreich in den Himmel aufgefahren ist.
6. Der uns den Heiligen Geist gesandt hat.
7. Den die Apostel in der ganzen Welt verkündet haben.
8. Der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat.
9. Der dich als Königin Himmels und der Erde gekrönt hat.
10. Der kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.


7. Reihe. Die Schlußbitten.

1. Gib, daß wir das Wort Gottes andächtig hören.
2. Gib, daß wir das Wort Gottes im Herzen behalten.
3. Gib, daß wir alle selig werden durch Jesum, Christum.

Die Geheimnisreihe des "Goldenen Rosenkranzes", die sich vom Mittelalter her in lebendiger Übung erhielt, gibt eine gute Vorstellung von den, wie Thurston sagt, unzähligen Geheimnisketten, die im Mittelalter nebeneinander als Vorlagen für das "Lesen" des Rosenkranzes dienten.

VII.

Die Umwandlung des Rosenkranzes in ein
mündliches Gemeinschaftsgebet.

1. Das Buch "Unserer Lieben Frauen Psalter" aus dein
Jahre 1489, das erste Werbebuch für einen Psalter mit nur
15 Geheimnissen.

Wer eine Vorstellung von dem unübersehbaren Nebeneinander und Durcheinander alter und neuer Geheimnisreihen gewinnen will, der möge an die letzten Jahrzehnte denken, in denen die liturgische Bewegung sich in Schriften auszubreiten begann. Da hatte jedes Land, jede Diözese, jede Gemeinde, ja oft jede Pfarrei ihre eigenen und eigens gedruckten Andachten.

Hält man sich außerdem noch die Umständlichkeit vor Augen, die mit dem Gebrauche derartig langer Geheimnisreihen verbunden war, so begreift man, daß ein vereinfachter Rosenkranz, der nur wenige Geheimnisse aufwies, den Wünschen der Vor- und Nachbeter entsprach.

Dieses Ziel wurde auf ähnlichen Zwischenstufen erreicht, auf denen die Zahl der Geheimnisse seinerzeit auf 150 oder 165 gestiegen war.

Man begann damit, daß man die Geheimnisse für einen einzelnen Rosenkranz, zunächst ohne den Blick auf den ganzen Psalter zu richten, von 50 auf 5 herabsetzte. Schon ein um 1480 gedrucktes Rosenkranzbild des germanischen Museums zu Nürnberg zeigt nur 5 Geheimnisse, und zwar das erste, zweite, dritte, vierte Geheimnis des freudenreichen und dann das fünfte des glorreichen Rosenkranzes.

Nachdem schon eine Reihe von Rosenkränzen mit nur fünf Geheimnissen unter das Volk gekommen waren, tat man einen weiteren Schritt und stellte den ganzen Psalter mit seinen drei Rosenkränzen auf die neue Betweise um. So gelangte man zu einem Psalter mit nur 15 Geheimnissen. Doch stimmten die damaligen 15 Geheimnisse noch nicht mit den heute üblichen überein.

Als diese Entwicklung im Gange war, gewann das Rosenkranzbuch eines Dominikaners eine ungemein große Verbreitung. Es erschien im Jahre 1483, 1489 und 1492 bei Konrad Dinckmuk zu Ulm, im Jahre 1490 und 1492 bei Anton Sorg zu Augsburg und im Jahre 1495 und 1502 bei Lukas Zeisselmaier neuerdings zu Augsburg. Das Buch trug den Titel: Unser lieben Frauen Psalter und von den drei Rosenkränzen, wie man die ordnen und beten soll. Mit viel bewährten Exempeln, ein fest nützlich Büchlein.

In der Einleitung dieses Buches wird ausdrücklich erklärt, daß "die Materie aus dem Buche des Meisters Alanus" ausgezogen worden sei. Der Verfasser dieser Werbeschrift wußte somit ganz gut, daß Alain de la Roche den 150 Psalmen 150 Geheimnisse zugeordnet hatte. Doch betrachtete er sich in der Wahl und Zahl der Geheimnisse ebensogut wie seine Zeitgenossen als frei und machte von dieser Freiheit einen reichlichen und wohlüberlegten Gebrauch.

Die Mitte seines Buches bilden nämlich drei Blätter mit je fünf farbigen Holzschnitten, die eine neue Reihe von Geheimnissen vorlegten.

Das erste Blatt zeigt die fünf heute üblichen Geheimnisse des freudenreichen, das zweite die fünf heute üblichen des schmerzhaften Rosenkranzes. Von den fünf Geheimnissen des glorreichen Rosenkranzes auf dem dritten Blatte stimmen die vier ersten mit den heutigen überein. Das fünfte, zeigt nicht die Krönung Marias - diese zog man zur Aufnahme Marias in den Himmel - sondern das Jüngste Gericht. Ein Kranz von Rosen, in dem zwischen zehn kleineren Rosen je eine größere folgt, umschließt jedes Bild. Die fünf großen Rosen bedeuten die Vaterunser, die kleinen die Gegrüßt seist du Maria.

Zu den Bildern dieser 15 Geheimnisse bemerkt der Verfasser dem Inhalte nach folgendes:

"Diese drei Blätter mit ihren Bildern sollen dies miterweisen, wie man den Psalter zü beten hat. Auf jedem Blatte sind fünf Bilder. Wenn Du den Psalter beten willst, so schaue, ehe oder während Du die ersten zehn Gegrüßt seist du Maria betest, das erste Bild des ersten Blattes an. Bist Du mit den ersten zehn Gegrüßt seist du Maria fertig, so wende Dich dem zweiten zu und bete die zweiten zehn Gegrüßt seist du Maria. Auf die gleiche Weise betest Du nun auch den dritten, vierten und fünften Zehner. Dann bist Du mit dem ersten Blatte und seinen fünf Bildern und mit dem ersten Rosenkranze und seinen 5 Vaterunsern und 50 Gegrüßt seist du Maria zu Ende.

Die Bilder des zweiten Blattes gehören zum zweiten und die Bilder des dritten Blattes zum dritten Rosenkranze. Diese sollst Du beim Beten des zweiten und des dritten Rosenkranzes betrachten."

Diese 15 Bilder mit Anweisung bringt der Verfasser im Anschluß an die Ausführungen über die Rosenkranzbruderschaft So gibt er zu verstehen, daß er mit seinen Vorschlägen besonders auf die Mitglieder dieser Bruderschaft rechnet. Im übrigen führt er vor den Bildern noch verschiedene Arten, den Rosenkranz zu beten an und beschließt seine Belehrung über den Gebrauch der Bilder als Hilfe beim Beten des Rosenkranzes mit den Worten: "So kannst du also den Psalter Marias ordnen (gemeint ist Gebet und Betrachtung verbinden) oder auch anderswie, wie es dir gefällt."

Für die üblichen 150 Geheimnisse zu den 150 Gegrüßt seist du Maria bot der Verfasser auf dem Wege, einen gewissen Ersatz, daß er eine eigenartige, aber dem mittel alterlichen Fühlen angängige Aufstellung von 150 "Betrachtungspunkten", wie man wohl sagen kann, folgen ließ.

Nach seiner Darstellung beziehen sich die 150 Gegrüßt seist du Maria nicht bloß auf die Psalmen Davids. Er bringt die Zahl 150 mit dem Jubeljahre, dem 50. Jahre des Alten Bundes in Verbindung. Die Zahl 150 bedeutet als das dreifache von 50 die Erfüllung dessen, was in den Segnungen des Jubeljahres vorausverkündet wurde.

Er sagt: "Der erste Grund, daß der Psalter gerade 150 Gegrüßt seist du Maria zählt, ist darin zu suchen, daß der Psalter Davids 150 Psalmen aufweist. In diesen Psalmen ist die würdige Jungfrau Maria und Mutter Gottes gefigurieret und pronunzieret und begriffen als die Wahrheit im Schatten, das Ende im Mittel und die Blust und die, Frucht in den Bäumen. Darum soll man das Ave Maria im Psalter 150mal sprechen.

Die zweite Ursache, warum der Psalter dreimal 50 Gegrüßt seist du Maria aufweist, ist darin zu erblicken, daß das 50. Jahr in der Heiligen Schrift das Jubeljahr, als das Jahr der Verzeihung bezeichnet wird. Nun sind den Menschen durch die Jungfrau Maria und durch ihr liebes Kind, unsern Herrn Jesus Christus, dreierlei Verzeihungen zuteil geworden. Die erste ist die Verzeihung der Schuld, die zweite ist die Verzeihung der gegenwärtigen Pein, die dritte ist die Verzeihung der künftigem Pein.. Darum soll man zur Dankbarkeit dreimal 50 Gegrüßt seist du Maria zur Muttergottes beten.

Das 50. Jahr wird in der Heiligen Schrift auch das Jahr der Befreiung genannt. Das menschliche Geschlecht ist durch die hochgelobte Jungfrau Maria und durch ihr liebes Kind, unsern Herrn Jesus Christus, von dreierlei Dienstbarkeit befreit worden: erstens von der Dienstbarkeit des Teufels, zweitens von der Dienstbarkeit der Welt, drittens von der Dienstbarkeit des Fleisches. Deswegen soll man dreimal 50 Gegrüßt seist du Maria beten.

Das 50. Jahr wird in der Heiligen Schrift das Jahr der Erneuerung geheißen. Durch die reine hochgelobte und würdige Jungfrau Maria und durch ihren Sohn Jesus sind drei Erneuerungen herbeigeführt worden. Die erste ist die Erneuerung des Gesetzes, die zweite die Erneuerung des Menschen, die dritte die Erneuerung des himmlischen Reiches.

Das 50. Jahr wird in der Heiligen Schrift das Jahr des Trostes oder der Tröstung der Betrübten geheißen. Durch Maria und ihren Sohn Jesus Christus hat das menschliche Geschlecht dreierlei Tröstungen empfangen. Die erste ist die Verzeihung der Sünde, die zweite die Mitteilung der Tugenden, die dritte die Verleihung der göttlichen Hilfe.

Das 50. Jahr ist im Alten Bund in besonderer Weise ein Jahr der Freiheit gewesen. Nach den heiligen Damaszenus sind der menschlichen Natur durch Maria drei Freiheiten gegeben und mitgeteilt worden. Die erste besteht darin, daß die Menschen aus diesem Elend in das himmlische Paradies geführt werden, die zweite besteht in der Rückkehr vom Tode zum Leben, die, dritte in dem Übergang von dieser Mühseligkeit der Welt in das Reich der ewigen Glorie.

Das 50. Jahr war im Alten Bund ein geheiligtes Festjahr. Durch Maria und ihren Sohn Jesus ist die menschliche Natur auf dreifache Weise geheiligt worden. Solches geschah erstens durch die Menscherdung Christi. Dadurch wurde die menschliche Natur mit Gott und die Kreatur mit dem Schöpfer vereinigt. Solches geschah zweitens durch die Auferstehung Christi, da Jesus in der menschlichen Natur sich in einem Zustand erhob, in dem ihm der Tod nichts mehr anhaben konnte. Solches geschah drittens in der Himmelfahrt Christi, in der die menschliche Natur über alle Himmel erhöht und erhoben wurde und zur Rechten des himmlischen Vaters ihren Platz erhielt. Um dieser Gründe, willen gebührt es sich, im Psalter dreimal 50 Gegrüßt seist du Maria zu sprechen zu Lob und Ehre der würdigen Jungfrau und Muttergottes Maria, durch die uns. alles Gute gegeben wurde und durch die wir von allen übel behütet und. beschirmt werden. Amen."

Für die 15 Vaterunser, die aus dem Psalter Unseres Herrn Jesus Christus stammen, schließen entsprechende Deutungen aus dem Leben Jesu an:
Jesus hat 15 Stunden gelitten.

Jesus hat 15mal 365 Wunden gehabt, so daß man ein Jahr lang den Rosenkranz beten muß, wenn man jede Wunde des Erlösers einmal verehren will.

„Jesus hat 15 Stunden gelitten.
Jesus hat von 15 Personen gelitten.
Jesus hat an 15 Stätten gelitten.
Jesus hat an 15 Orten seines Leibes gelitten.
Jesus hat durch 15 Instrumente gelitten.
Jesus hat um 15 Worten willen gelitten.
Jesus hat 15 Schmähungen gelitten."

Der Verfasser des Buches "Unserer Lieben Frauen Psalter" verstand es, wie man sieht, gar nicht übel, den Lesern für die Wahl der Geheimnisse alle Freiheit zuzusprechen und dann sein Anliegen, die fünfzehn neuen Geheimnisse, in Wort und Bild so in den Vordergrund zu rücken, daß man sich mit ihnen leicht befreundete. Er stellte sie nämlich, ohne sie überhaupt mit Worten zu bezeichnen, in 15 Bildern vor die Augen des Lesers. Im Anschluß an die Bilder ließ er eine Liste von 150 Betrachtungspunkten oder wie man sagen soll, folgen, die in etwa die 150 alten Geheimnisse. ersetzten. So brachte er den Gläubigen das Neue auf eine Weise bei, daß es mehr gefiel als auffiel und mit dem alten verbunden erschien. Die ganze Darstellung war zudem äußerlich so wenig gegliedert, daß man beim Lesen unvermerkt von einem Teil in den andern hinüberglitt.

Inwieweit die Leute jener alten Zeit an derartigen Ausführungen sich erbauten oder darüber hinweglassen, kann man heute nicht mehr entscheiden. Vermutlich wird sowohl das eine wie auch das andere vorgekommen sein. Hier sollte die Anführung dieses Abschnittes in erster Linie zeigen, wie der Verfasser des Buches von den 150 alten Geheimnissen auf die 15 neuen überleitete.

 Vergleicht man einzelne Bemerkungen dieses Werbebuches aus dem Jahre 1495 mit einschlägigen Stellen aus dem Buche des seligen Alain de. la Roche, so treten die wesentlichen Stufen der Entwicklung des Rosenkranzes von selbst hervor. Alain bezeichnet nämlich den Rosenkranzes, der aus lauter Gegrüßt seist du Maria und Vaterunser bestand, als den alten und den, der 150 Gegrüßt seist du Maria und 150 zugeordnete, Geheimnisse enthielt, als den neuen. Das Werbebuch vom Jahre 1499 stellt den Rosenkranz mit den 150 Geheimnissen als überholt hin und nennt den mit nur 15 Geheimnissen den neuen und eigentlich guten Rosenkranz.

Dem neuen Psalter waren tatsächlich verschiedene Vorzüge eigen:

Wenn eine bestimmte Anzahl von gleichen Geheimnissen sich in weiteren Gebieten durchsetzte, so hatte das sowohl für Beter als für Prediger große Vorteile. Es wurde in die Andacht eine gewisse Einheitlichkeit gebracht.

Die Einführung der 15 Geheimnisse erleichterte außerdem die Betrachtung der einzelnen heiligen Begebenheiten. So lange jedem einzelnen Gegrüßt seist du Maria ein eigenes Geheimnis angeschlossen wurde, war es für den durchschnittlichen Gläubigen schon sehr schwer, wenn nicht geradezu unmöglich gewesen, das Geheimnis in sieh selbst und nicht bloß als eine Momentaufnahme aus dem Leben Jesu aufzunehmen. Jetzt, da die Zahl der Geheimnisse auf 15 herabgesetzt war und somit für die Erwägung eines jeden einzelnen Geheimnisses eine längere Zeit zur Verfügung stand, gewann die Sache auch für die einfachen Leute ein besseres Gesicht und sie ließen sich eine entsprechende Anleitung gerne gefallen.

Bei Erscheinen des Buches war die Reihe von 15 Geheimnissen noch neu. Diesen Schluß gestatten die sogenannten Rosenkranztafeln. Unter einer Rosenkranztafel ist ein Bild zu verstehen, in dem die Muttergottes als die Königin aller Heiligen in einem Kranz von Rosen dargestellt wird. Das Wort Rosenkranz bedeutet in diesem Falle also nicht ein Gebet, sondern. ein Bild zum Preise Marias. Es gibt nicht wenige derartige Tafeln aus jener Zeit; doch keine einzige ist zu finden, auf der die dargestellten Begebenheiten mit diesen 15 Geheimnissen übereinstimmen. Wäre der Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen schon verbreitet und bekannt gewesen, so hätte man wenigstens das eine oder andere Mal für die Bilder die 15 Geheimnisse zur Vorlage genommen. Sehr wahrscheinlich ist es aber, daß diese Tafeln den Gedanken, die Zahl der Geheimnisse von 150 auf eine geringere Anzahl herabzusetzen, förderten und auf die Auswahl der Geheimnisse für eine kürzere Reihe Einfluß nahmen.

Fünf Jahre nach dem Buche "Der Psalter Unserer Lieben Frau", das allüberall bekannt wurde, erschien zu Würzburg ein Flugblatt mit dem Titel: "U. L. Frauen Psalter oder Rosenkranz, gesangweise gestellt durch F.Sixt. Buchsbaum, Anno 1500. Von der Bruderschaft des heiligen Rosenkranzes oft zu singen nach Herzog Ernst's Melodie."

Dieses Flugblatt trat ebenfalls für einen Rosenkranz mit 15 Geheimnissen ein. Das ganze Lied hatte 22 Strophen mit ungleich viel Zeilen. Die Melodie vom Herzog Ernst, aus dem 13. Jahrhundert stammend, ist eine der ältesten noch aufbewahrten Singweisen des weltlichen Heldengesanges.

Im Titel des Flugblattes wurde darauf hingewiesen, daß das Werk besonders für die Mitglieder der Rosenkranzbruderschaft bestimmt sei. Diese Empfehlung läßt annehmen, daß hinter der Drucklegung dieser Geheimnislieder eine oder mehrere Rosenkranzbruderschaften und hinter diesen der Dominikanerorden stand. Damit war für einen guten Absatz und eine rasche Verbreitung eine sichere Bürgschaft im voraus gegeben.

Dieser Gesang gewann, obwohl die Verse recht durchschnittlich klangen, eine weite Verbreitung. Er befindet sieh noch über 100 Jahre darauf im Mainzer Gesangbuch und in dem Gesangbuche des Wieners Corner.


2. Das Buch "Der Rosenkranz der glorreichen Jungfrau Maria" von Alberto da Castello O.P. aus dem Jahre 1521,

die Überleitung der 150 alten Geheimnisse in die neue Reihe von nur 15 Geheimnissen.

Wie die englischen Forscher nicht bloß von "mündlichen" und "betrachtenden", sondern auch von "körperliehen" Gebeten sprechen, so könnte man für die Zeit des Mittelalters noch von einer vierten Gruppe von Gebeten, nämlich von "Bildergebeten" sprechen. Darunter sind solche - meistens kurze - Gebete zu verstehen, denen ein Bild beigegeben ist, das den Beschauer zum Beten anregen und sein Gemüt während des Gebetes erwärmen soll. Mit Hilfe der Bilder konnte sogar einer, der des "Lesens" gar nicht mächtig war, ein derartiges Buch nach einem kurzen Unterrichte benützen, genau wie heute mit Hilfe der Bilder der 14 Kreuzwegstationen jeder den Kreuzweg zu beten vermag. Der Kreuzweg gehört heute allein noch zu jener Gattung von Gebeten, die man als Bildergebete bezeichnen kann.

Schon im Rosenkranzbuche des Alain de la Roche war dein Beter empfohlen worden, während des Gebetes seine Augen auf ein entsprechendes Bild zu heften und es zu betrachten. Für den ersten Rosenkranz schlug Alain ein Bild von Maria mit dem Kinde, für den zweiten ein Bild des Leidensmannes und für den dritten ein Bild von der Herrlichkeit des Himmels und der Heiligen vor.

Im Gebetbuche der Dänin Jesperdatter (hergestellt um 1500) befand sich auf der einen Seite jeweils das Bild und auf der andern der Wortlaut des Geheimnisses.

Das schönste Werk, das sich auf das System der Bildergebete aufbaute, war jedoch "der Rosenkranz der glorreichen Jungfrau Maria" des Alberto da Castello OP. das im Jahre 1521 zu Venedig erschien und für die weitere Entwicklung des Rosenkranzgebetes von großer Bedeutung wurde. Das Werk kam 1579 zu Paris in französischer und 1599 zu Mainz in deutscher Sprache heraus.

Der Verfasser stand im wesentlichen vor der gleichen Aufgabe wie der Verfasser des "Psalters Unserer Lieben Frau". Er suchte die Lösung der Schwierigkeiten auch in derselben Richtung. Nur ging er noch geschickter vor; er verstand es nämlich, die alten 150 Geheimnisse in seinem Werke so anzubringen, daß sie anstatt ein Hemmnis für die Verbreitung der neuen 15 Geheimnisse zu werden, als Vorspann zu ihrer Verbreitung beitrugen.

Er ließ die 150 Geheimnisse bestehen, Wie sie waren, und schloß die 15 neuen Geheimnisse jeweils an die 15 Vaterunser an, welche die einzelnen Zehner einleiteten. Dadurch erhielten die neuen Geheimnisse eine Vorrangstellung; die alten 150 Geheimnisse mit dem Gegrüßt seist du Maria wurden zu zehn Teilhandlungen, die das Vaterunsergeheimnis entfalteten. So ergaben die zehn Geheimnisse der Gegrüßt seist du Maria zehn Betrachtungspunkte für das Vaterunsergeheimnis, das ihnen vorausging.

Hier folgt nun die ganze Geheimnisreihe, wie sie Castello in seinem Buche den Lesern vorlegt. Die Wiedergabe soll wie die frühere Liste der 63 Geheimnisse nicht bloß der Geschichte dienen, sondern dem Leser auch Gelegenheit geben, die 15 ihm bekannten Geheimnisse mit neuen Bildervorstellungen auszufüllen, die die Phantasie binden.

 

Freudenreicher Rosenkranz.

I.

Das Vaterunser-Geheimnis: Maria, die Jungfrau, hat Christus empfangen.
Das Verlangen der heiligen Patriarchen, welche Christi Menschwerdung erflehten. Vater unser.

1. Maria wurde im voraus gezeigt durch Vorbilder des Alten Testaments.
2. Die Jungfrau Maria wurde vorherverkündet durch heilige Propheten.
3. Die Geburt der Jungfrau Maria wurde verkündet durch einen Engel.
4. Die Jungfrau Maria wurde geheiligt im Schoße der hl. Anna.
5. Die Geburt der glorreichen Jungfrau Maria.
6. Marias Opferung im Tempel.
7. Das heilige Leben der Jungfrau Maria im Tempel.
8. Maria ward durch den Hohenpriester verlobt dem hl. Josef.
9. Die Jungfrau Maria ward von Gott erwählt zu seiner Mutter.
10. Der Engel brachte Maria die Botschaft über Christi Menschwerdung.

II.

Das Vaterunser-Geheimnis: Die Jungfrau hat Christus zu Elisabeth getragen.
Der hl. Johannes der Täufer ward vorherverkündet durch die Propheten. Vater unser.

11. Die Geburt des hl. Johannes ward verkündet dem Zacharias.
12. Die heiligste Jungfrau Maria geht die hl. Elisabeth besuchen.
13. Der Gruß der Jungfrau Maria an ihre Base Elisabeth.
14. Erfüllt vom Hl. Geist, erkennt Elisabeth in Maria die Mutter Gottes.
15. Maria, die Jungfrau, singt ihr Loblied "Magnificat".
16. Die heilige Tätigkeit Marias im Hause Elisabeths.
17. Die Geburt des glorreichen Propheten, des hl. Johannes des Täufers.
18. Die Beschneidung des hl. Johannes des Täufers.
19. Zacharias erhält die Sprache zurück und lobpreist den ewigen Gott.
20. Maria kehrt zurück in ihr Haus nach der Geburt des hl. Johannes.

III.

Das Vaterunser-Geheimnis: Maria hat Christus geboren.
Gottes Güte bereitet die Geburt seines Sohnes vor. Vater unser.

21. Maria fleht zu Gott, welcher allen Verdacht des hl. Josef verscheucht.
22. Maria kommt der Geburt nahe und geht mit Joseph nach Bethlehem.
23. Die Geburt unseres Herrn von Maria, der heiligsten Jungfrau.
24. Maria, die Jungfrau, legt ihr Söhnchen in die Krippe.
25. Maria, die Jungfrau, erlangt wunderbarerweise Milch für ihr Kind.
26. Der Engel verkündet den Hirten die Geburt Jesu Christi.
27. Die Engel singen: Gloria in excelsis Deo.
28. Die Hirten kommen, Jesus Christus anzubeten.
29. Die Beschneidung Jesu Christi und die Beilegung des Namens.
30. Die Anbetung der Könige, welche kommen mit dem Stern.

IV.

Das Vaterunser-Geheimnis: Maria hat Christus im Tempel aufgeopfert.
Gott gibt seine Gebote dem Moses, welcher dann das Gesetz der Reinigung verkündet. Vater unser.

31. Maria, die Jungfrau, und Joseph gehen zum Tempel in Jerusalem.
32. Maria, die Jungfrau, opfert ihr Kindlein dem Priester.
33. Simeon empfängt Jesus in seine Arme und lobt Gott.
34. Anna, die sehr heilige Prophetin, lobt Christus, den Gebenedeiten.
35. Ein Engel ermahnt Joseph, welcher Jesus nach bringt.
36. Als Jesus nach Ägypten kam, neigte sich ein Palmbaum.
37. Als Jesus einzog in Ägypten, stürzten alle zusammen.
38. Herodes läßt die Kinder töten, weil er Christus ermorden will.
39. Maria und Joseph verdienen durch Händearbeit ihren Lebensunterhalt.
40. Wie Joseph heimkehrt nach Nazareth mit Jesus und Maria.

V.

Das Vaterunser-Geheimnis: Maria hat Jesus im Tempel wiedergefunden.
Gott will uns seinen Sohn geben als unsern Meister und Lehrer. Vater unser.

41. Jesus, der Herr, redete, als er zwölf Jahre alt war, mit den Lehrern.
42. Christus Jesus wurde getauft von Johannes im Jordan.
43. Christus wurde versucht in der Wüste vom höllischen Geiste.
44. Erstes Wunder Jesu, das geschah bei der Hochzeit von Kana.
45. Jesus erwählt zwölf Apostel und macht Petrus zum Hirten der Kirche.
46. Die Verklärung Christ! auf dem Berge Tabor.
47. Jesus, der Herr, verkündet seine heiligste Lehre.
48. Die wunderbare Bekehrung der Maria Magdalena.
49. Die großen Wunder, welche Christus wirkt aus eigener Macht.
50. Die Auferweckung des Lazarus, welche Jesus wunderbarerweise bewirkt.

Der schmerzhafte Rosenkranz.

I.

Das Vaterunser-Geheimnis: Jesus, unser süßer Herr, betet im Garten.
Jesus erhielt vom ewigen Vater den Auftrag, für uns Leiden zu dulden. Vater unser.

51. Jesus zieht ein in Jerusalem auf der Eselin und dem Füllen.
52. Die Juden halten Rat und Judas verrät Jesus für 30 Denare.
53. Jesus ißt das Osterlamm und setzt das heilige Altarssakrament ein.
54. Jesus wäscht allen seinen Aposteln die Füße.
55. Jesus hält die letzten Reden, indem er seine Apostel belehrt.
56. Jesus betet im Garten und schwitzt blutigen Schweiß.
57. Jesus führt mit sich weiter den Petrus, Jakobus und Johannes.
58. Judas verrät Jesus mit dem boshaften und nichtswürdigen Kusse.
59. Jesus spricht: "Ich bin es", und wirft alle Juden zu Boden.
60. Petrus schlägt das Ohr ab und Jesus wird gebunden.

II.

Das Vaterunser-Geheimnis: Jesus wird gegeißelt.
Betrachtung der grausamen Geißelung, welche Christus erlitt. Vater unser.

61. Jesus wird geführt zu Annas und empfängt einen Backenstreich.
62. Der hl. Petrus verleugnet Jesus dreimal und weint dann bitterlich.
63. Jesus wird bei Kaiphas verurteilt als des Todes würdig.
64. Jesus Christus wird geschlagen im Hause des Kaiphas.
65. Jesus wird vor Pilatus gestellt, und Judas erhängt sich.
66. Pilatus sendet Jesus zu Herodes.
67. Herodes schickt Jesus zurück, Pilatus erklärt Jesus für unschuldig.
68. Pilatus verhört Jesus. Jesus antwortet ihm.
69. Die Juden fordern, Barnabas solle frei, Jesus gekreuzigt werden.
70. Jesus wird an der Säule auf das grausamste und härteste gegeißelt.

III.

Das Vaterunser-Geheimnis: Jesus wird mit Dornen gekrönt.
Wie hart und grausam Jesu Leiden war. Vater unser.

71. Jesus mit einem Königsmantel bekleidet und gekrönt mit Dornen.
72. Jesus wurde die Krone auf sein Haupt eingedrückt.
73. Jesus wird verspottet und verspieen und geschlagen mit dem Rohrstabe.
74. Jesus wird spöttischerweise verehrt von den Dienern des Pilatus.
75. Jesus wird dem Pilatus vorgeführt mit seiner Dornenkrone.
76. Pilatus ermahnt die Juden, daß sie von Jesus ablassen sollen.
77. Die Juden fordern, Jesus solle gekreuzigt werden.
78. Pilatus fragt Jesus, ob er Gottes Sohn sei.
79. Pilatus will Jesus freilassen, die Juden drohen mit dem Kaiser.
80. Pilatus zeigt Jesus den Juden als König.

IV.

Das Vaterunser-Geheimnis: Jesus trägt das schwere Kreuz.
Betrachtung, daß wir Jesus folgen sollen in Trübsal und Kummer. Vater unser.

81. Die Gemahlin des Pilatus mahnt, Jesus nicht zu verurteilen.
82. Pilatus wäscht die Hände, um seine Unschuld darzutun.
83. Die Juden schreien, das Blut Christi möge über sie kommen.
84. Pilatus läßt das Urteil verlesen, Jesus solle gekreuzigt werden.
85. Jesus trägt sein Kreuz und geht zum Kalvarienberg.
86. Die frömmste und beste Mutter geht ihrem Sohne entgegen.
87. Jesus wird geführt zum Tode und das Kreuz wird gelegt auf Simon.
88. Indem Jesus zum Tode geht, sagt er Unglück voraus.
89. Jesus, das unschuldigste Lamm, wird fortgerissen zum Tode.
90. Jesus drückt sein Antlitz ins Schweißtuch der Veronika.

V.

Das Vaterunser-Geheimnis: Jesus wird für uns gekreuzigt.
Betrachtung über das Leiden und Sterben Jesu, des Gebenedeiten. Vater unser.

91. Jesus wird unter großen Schmerzen ans Kreuz genagelt.
92. Jesus wird aufgerichtet mit dem Kreuze und gestellt zwischen Räuber.
93. Jesus betet für seine Kreuziger, um uns ein Beispiel zu geben.
94. Jesus verheißt am Kreuze dem Schächer zur Rechten das Paradies.
95. Jesus empfiehlt seine Mutter dem Evangelisten.
96. Jesus hängt am Kreuze drei Stunden, die Sonne verfinstert sich.
97. Da Jesus am Kreuze Durst litt, wurde er getränkt mit Galle und Essig.
98. Jesus. erklärt, erfüllt seien die Heiligen Schriften, welche von ihm handeln.
99. Jesus haucht seinen Geist aus und seine Seite wurde geöffnet.
100. Jesus wird vom Kreuze genommen und ins Grab gelegt.

Der glorreiche Rosenkranz.

I.

Das Vaterunser-Geheimnis: Christus stand von den Toten auf.
Die Auferstehung Christi, über welche wir uns freuen sollen. Vater unser.

101. Christus erlöst die Seelen der heiligen Väter aus der Vorhölle.
102. Christus ersteht vom Tode zu einem glorreichen Leben.
103. Christus erscheint nach der Auferstehung zuerst seiner Mutter.
104.     Jesus erscheint in Gestalt eines Gärtners der Maria Magdalena.
105. Jesus erscheint den drei Marien am Tage der Auferstehung.
106. Jesus erscheint dem hl. Petrus vor allen andern Männern.
107. Jesus erscheint dem hl. Jakobus dem Jüngeren nach der Auferstehung.
108. Jesus erscheint den beiden Jüngern, welche nach Emmaus gingen.
109. Jesus erscheint zehn Aposteln am Tage der Auferstehung.
110. Jesus erscheint den Aposteln, zeigt dem hl. Thomas die Wundmale.

II.

Das 'Vaterunser-Geheimnis: Christus ist gegen Himmel aufgefahren.
Betrachtung über die Erhöhung der menschlichen Natur bei der Himmelfahrt. Vater unser.

111. Jesus macht den hl. Petrus zum Papst und übergibt ihm seine Herde.
112. Jesus befiehlt seinen Aposteln, zu predigen in aller Welt.
113. Jesus speiste mit seiner Mutter und mit den Aposteln.
114. Jesus nahm Abschied von allen den Seinigen.
115. Jesus fährt auf, segnet seine Mutter und alle Anwesenden.
116. Indem Jesus aufsteigt in den Himmel, verbirgt eine Wolke ihn.
117. Zwei Engel erscheinen und verkünden die zweite Ankunft Jesu.
118. Jesus wurde dem ewigen Vater vorgestellt und von ihm gekrönt.
119. Jesus sitzt zur Rechten des Vaters in gleicher Herrlichkeit.
120. Jesus bittet als Mensch den Vater für unsere Sünden.

III.

Das Vaterunser-Geheimnis: Christus hat den Heiligen Geist gesendet.
Betrachtung über den Heiligen Geist und seine Gaben. Vater unser.

121. Maria und die Frauen beten mit den Aposteln um den Heiligen Geist.
122. Der Heilige Geist kommt herab auf die Apostel am Pfingsttage.
123. Die Apostel reden verschiedene Sprachen zu aller Erstaunen.
124. De r hl. Petrus bekehrt in einer Predigt dreitausend Personen.
125. Die Christen teilen sich alles und beharren im Gebete.
126. Das Wunder des hl. Petrus als Zeugnis für die Auferstehung.
127. Der Engel befreit die Apostel aus dem Gefängnisse.
128. Die Apostel werden geschlagen wegen der Liebe zu Christus.
129. Der römische Zenturio Kornelius wird getauft vom hl. Petrus.
130. Die Apostel zerstreuen sich in alle Welt und predigen den Glauben.

Der Grundsatz, im Vaterunser-Geheimnisse die zehn folgenden Avegeheimnisse zu entfalten, führte nun am Ende des Psalters gewissermaßen zu einer Art „Faltung", die nicht zu vermeiden war. Bei der Darlegung des Geheimnisses der Aufnahme Marias in zehn Teilgeheimnisse blieb nämlich nichts anderes übrig, als auch die Krönung Marias im Himmel einzubeziehen. Das 14. Vaterunser- und Hauptgeheimnis gewann somit folgenden Aufbau:

IV.

Das Vaterunser-Geheimnis: Maria wird in den Himmel aufgenommen.
Betrachtung über die Herrlichkeit der glorreichen Jungfrau Maria.

131. Maria, die Jungfrau, besucht die Orte, an denen Jesus litt.
132. Maria belehrt alle über den christlichen Glauben.
133. Maria wird von Engeln benachrichtigt über ihr Hinscheiden.
134. Alle Apostel versammeln sich zum Hinscheiden Marias mit dem himmlischen Hofe.
135. Jesus kommt beim Hinscheiden Marias mit dem himmlischen Hofe.
136. Das Hinscheiden Marias, der Jungfrau, und die himmlischen Freuden.
137. Maria wird von der heiligsten Dreifaltigkeit gekrönt.
138. Maria, die Jungfrau, wird gesetzt zur Rechten ihres Sohnes.
139. Die Apostel halten die Totenfeier und bestatten den Leib Marias.
140. Maria, die Jungfrau, bittet ihren Sohn stets für die Sünder.

Nachdem Castello die Krönung Marias in der Entfaltung der 14 Geheimnisse schon vorweggenommen hatte, konnte er sie natürlich nicht mehr als 15. Vaterunser- und Hauptgeheimnis bringen; er mußte daher den Blick erweitern und das tat er auch. Das 15. Vaterunser-Geheimnis und Hauptgeheimnis heißt demzufolge: Die Herrlichkeit Gottes und der Heiligen. Betrachtung über die Herrlichkeit der Heiligen.

Die zehn Teilgeheimnisse zum 15. Vaterunser-Geheimnis fielen nun freilich so aus, daß man sie auch unter dem Titel "Die Herrlichkeit Marias und der Heiligen" oder geradezu unter dem Titel "Die Herrlichkeit Marias als Königin aller Heiligen" hätte bringen können.

Die 15. Geheimnisreihe gewann nämlich folgende Gestalt.

V.

Das Vaterunser-Geheimnis: Die Herrlichkeit Gottes und der Heiligen.
Betrachtung über die Herrlichkeit des Heiligen.

141. Die Herrlichkeit der heiligsten Jungfrau, der Muttergottes.
142. Die Herrlichkeit der Engel und der seligen Geister des Himmels.
143. Die Herrlichkeit der Patriarchen des Alten Bundes.
144. Betrachtung der Herrlichkeit der Propheten.
145. Betrachtung der Herrlichkeit der Apostel.
146. Betrachtung der Herrlichkeit der Märtyrer.
147. Betrachtung der Herrlichkeit der Kirchenlehrer.
148. Betrachtung der Herrlichkeit der Bekenner.
149. Betrachtung der Herrlichkeit der Jungfrauen.
150. Betrachtung der Herrlichkeit aller Heiligen.

Wer diese Geheimnisse liest, dem klingen sie vertraut. Die Art und Weise, wie hier die Heiligen nach Rangstufen aufgezählt wurden, hat ihr letztes Vorbild eben in Litaneien, in der Allerheiligenlitanei und vermutlich noch mehr in gewissen oberitalienischen Muttergottes Litaneien, die Vorläufer der heutigen Lauretanischen. Litanei darstellen. Die Anordnung der Bilder auf der berühmten Rosenkranztafel des Veit Stoß stimmt mit dieser Aufzählung überein. Man darf annehmen, daß sie ebenfalls mit den genannten Litaneien zusammenhängt.

Für die Gesamtgeschichte ist Alberto da Castello auch noch insofern bedeutsam, als er in seinem Buche zum erstenmal den Ausdruck "misteri" - "Geheimnisse" des Rosenkranzes gebrauchte.

Castello übernahm den Ausdruck "Geheimnis" aus der religiösen Überlieferung im allgemeinen oder aus der seines Ordens in Italien. Die Stelle aus der Lebensbeschreibung der hl. Katharina von Siena, die im Abschnitt über die Vereinigung der Psalter gegen Schluß angeführt wurde, spricht in der gleichen Weise von der Betrachtung der Geheimnisse des Lebens Jesu im allgemeinen, wie. Wir heutzutage von der Betrachtung jener 15 Geheimnisse reden, die im Psalter vorgelegt werden.

 

3. Die Festlegung des Psalters auf die heute üblichen
15 Geheimnisse.

Die Reihe der 15 Geheimnisse, die heute üblich sind, scheint aus Spanien zu stammen. Auf alle Fälle ist ein Holzschnitt, der auf das Jahr 1488 angesetzt wird, die älteste Urkunde, die es dafür gibt.

Nach der Erfindung der Buchdruckerkunst konnten sich mündlich gesprochene Volksgebete ähnlich rasch in gleichem Wortlaut verbreiten, wie dies in den Jahrhunderten zuvor nur bei liturgischen Gebeten möglich gewesen war.

Die Umstellung auf die heute üblichen Geheimnisse war nach dem Erscheinen des Buches "Unserer Lieben Frauen Psalter" und dem Werke von Castello bald durchgeführt. Es handelte sich hiebei ja nur um eine Änderung des letzten Geheimnisses. Ja es wäre sogar denkbar, daß die Krönung Marias im Himmel als 15. Geheimnis auf dem Wege üblich wurde, daß man sie im Rosenkranz Castellos als 15. Geheimnis einsetzte. Wenn diese 15 Geheimnisse sich sehr rasch über alle christlichen Länder verbreiteten, so liegt ein Grund dafür auch im Umstande, daß Spanien in jenen Jahrzehnten auf dem Gipfel seiner Macht und seines Einflusses stand.

Daneben spielte wohl auch die Tatsache eine Rolle, daß dieser Schluß des Rosenkranzes dem Lebensgefühl der Barockzeit in besonderer Weise entsprach. Die beliebteste Darstellung jenes Jahrhunderts, die Kuppeln und Gewölbe zierte, war ja ein Blick in den offene" Himmel. Mit einem solchen Blicke schloß so auch der Rosenkranz.

Die Frage, wo die heute üblichen 15 Geheimnisse zum ersten Male gebraucht wurden, darf aber mit dem Hinweise auf diesen spanischen Holzschnitt, von dem eben die Rede war, freilich nicht als gelöst betrachtet werden. Davor sich zu hüten, mahnt unter anderem die Tatsache, daß sich diese 15 Geheimnisse auch auf einem ehemaligen Altarbilde, der Kirche, des Dominikanerklosters zu Frankfurt finden, der um 1490 errichtet wurde und heute im Pfälzer Museum aufbewahrt wird. Das Altarbild zeigt drei große Bilder zur Geschichte des Rosenkranzes nach damaliger Auffassung. Diese, drei Bilder sind von drei Kränzen aus Rosen umrahmt, und in diese Kränze sind die heute üblichen 15 Geheimnisse als kleine Schildbilder eingefügt.

In einem Flugblatte der Bibliotheka Vallicellana, das aus dem Jahre 1561 stammt, wird von dem Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen schon so gesprochen, als ob es in Italien keine anderen Geheimnisreihen gäbe. Und in einigen Mensehenaltern darauf empfindet man andere Arten, ihn zu beten, als eine Abweichung und lehnt sie ab.

In den deutschen Gebieten hingegen verschwanden die alten Rosenkranzformen, weil sie sich schon völlig eingelebt hatten, viel langsamer. Kanisius sagt z. B. noch 1577 in seinem Buch über die Muttergottes, daß das Geheimnis von 'der Krönung Marias "gewöhnlich" als das 15. gebracht werde. Noch im Jahre 1856 erschien zu Augsburg ein Gebetbuch, welches das katholische Missionsbuch geheißen, mit einem Rosenkranze, bei dem jedes Geheimnis aus der kurzen Betrachtung und 5 Gegrüßt seist du Maria bestand.

In der Förderung der Rosenkranzandacht im allgemeinen und namentlich in der Schulung der Gläubigen für das Betrachten der Geheimnisse, trat im 16. Jahrhundert der neugegründete Jesuitenorden zuerst in den Ländern der romanischen und dann auch in den Gebieten der germanischen Sprachen an die Seite der Dominikaner und der übrigen Orden.

Für die Dominikaner stellte der Rosenkranz, bildlich gesprochen, eine Marienkirche mit den 15 Geheimnissen als ebenso vielen Altären dar, vor denen das Lob Marias verkündet und sie um ihre Hilfe für die Kirche und die Gläubigen angefleht wurde. Für die Jesuiten hingegen war ,er ein Exerzitiensaal, in dem man den Zuhörern zu, 15 leichtverständlichen und schon bekannten Bildern Betrachtungspunkte gab, und sie darum beten ließ, ihr eigenes Leben nach dem Vorbilde Jesu und Marias zu gestalten.

So fand der Rosenkranz von der einen Seite her als eine Angelegenheit des mittelalterlichen und von der anderen Seite her als eine Sache des neuzeitlichen Ordens jede Art von Pflege.

Verschiedene Mitglieder des Jesuitenordens zählten zu den eifrigsten Förderern der Andacht. Allen voran ist der hl. Kanisius zu nennen, der mit dem ihm eigenen Sinn für die Volksseelsorge und für die Wege, die diesbezüglich zum Ziele führten, den hohen Wert dieser Andacht erkannte und sich mit allem Eifer für sie einsetzte. In seinem Gebetbuch übernahm der Heilige die 15 Geheimnisse des Karthäusers Justus von Landsberg († 1539). Er war es auch, der (1558) zu Dillingen die Lauretanische Litanei, die heute noch so oft mit dem Rosenkranz verbunden wird, in deutscher Übersetzung drucken und so unter das Volk bringen ließ.

Die päpstlichen Bullen von Sixtus IV. bis zu Pius V. hatten nur von den zehn Vaterunsern und 150 Gegrüßt seist du Maria des Rosenkranzes gesprochen. In der Bulle Pius V. vom 17. September 1569 wurde zum erstenmal darauf hingewiesen, daß die Betrachtung der Geheimnisse für die Gewinnung der Ablässe Bedingung sei. Diese amtliche Äußerung trug jedenfalls dazu bei, daß beim mündlichen Beten des Rosenkranzes die Einfügung kurzer Betrachtungen zu den einzelnen Geheimnissen noch mehr als bisher Sitte wurde.

Im Jahre 1573 wurde das Rosenkranzfest eingeführt. Es erhielt ein eigenes Meßformular. Die Gebete dieser Messe - es wird davon noch eigens die Rede sein - gaben in knappen Zusammenfassungen die Grundzüge der Andacht als einer Vereinigung vom mündlichen und betrachtenden Gebete wieder. Darin lag ein neuer Antrieb, die Gläubigen in der Weise, wie man es zu tun begonnen hatte, zu schulen.

Von dieser Zeit an setzten sieh Mitglieder der beiden großen Orden mit erhöhtem Eifer für die Verbreitung des Rosenkranzes mit den 15 Geheimnissen ein. Für ihn warben unter anderen P. Johannes Lopez mit seinem spanischen Rosenkranzbuche (1584), P. Paolino Bernardini  OPr, ein Freund des Philippus Neri (Buch aus dem Jahre 1579); ferner Serafino Razzi, der Lehrer des Philippus Neri; Karl Borromäus, der heilige Kardinal, erließ im Jahre 1584 eine Weisung, die diesen Rosenkranz empfahl. Für den gleichen Rosenkranz setzte sich auch der 1602 zu Paris gedruckte "Psalter Unserer Lieben Frau" ein.

Von einem Buche, das in diesen Jahren erschien, vom Buche des Paters Kaspar Loarte SJ, soll noch eigens kurz die Rede sein. Es kam im Jahre 1573, also im gleichen Jahre heraus, da das Rosenkranzfest eingeführt wurde. Das Buch gewann eine ungewöhnlich große Verbreitung. Es erschien in französischer, in deutscher und daneben noch in lateinischer, spanischer und portugiesischer Sprache. Der Verfasser ging grundsätzlich darauf aus, den Leser zum Betrachten der Geheimnisse anzuleiten. Das zeigte schon der Titel an: "Einführungen und Hinweise, wie man die Geheimnisse des Rosenkranzes der seligsten Jungfrau und Mutter betrachten kann."

Das Büchlein ist insofern von Bedeutung, als es im Leben des hl. Aloisius - er kannte es bereits im Jahre 1577 - eine Rolle spielte. Möglicherweise erhielt er es von seinem Verwandten dem hl. Karl Borromäus, der es sehr hoch einschätzte. (Er hatte dem Knaben seinerzeit die erste heilige Kommunion gespendet.) Die Anleitungen dieses Büchleins wirkten auf den hl. Aloisius mit seinem Drange- zu beten wie eine Befreiung. Bisher hatte er gemeint, daß das Beten mit dem Munde unerläßlich sei. Nun erfuhr er, daß man auch im Geiste bei Gott weilen konnte. Da brach aus seinem Innern etwas durch, was er bisher gewissermaßen zurückgestaut hatte; das Beten im Weilen bei Bildern, im Weilen bei heiligen Vorstellungen. Das Beten ohne Worte bestimmte von nun an sein religiöses Leben.

In den Jahrzehnten nach 1573 entwickelte sich die Andacht des Rosenkranzes und die Schulung der Gläubigen für dieses Gebet zu jenen Formen, die für die erste große Blütezeit des Rosenkranzes bezeichnend sind. Es wurde nämlich Sitte, beim gemeinschaftlichen Beten des Rosenkranzes bei jedem Gesetzlein einen mündlichen Vortrag oder eine Lesung über das Geheimnis vorauszusenden. So kam auch in der äußeren Übung der Andacht zum Ausdrucke, daß sowohl das mündliche als auch das betrachtende Gebet zu ihr gehörte.

 

4. Die ursprüngliche Betweise des Rosenkranzes mit den
15 Geheimnissen als mündliches Gemeinschaftsgebet.

Ein Hauptgrund, warum sich die Dominikaner für den Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen einsetzten, war, daß dieser Rosenkranz nicht mehr wie die alten mit den vielen Geheimnissen "vorgelesen" werden mußte, sondern sich auswendig lernen und so ohne weiteres als mündliches Gemeinschaftsgebet gebrauchen ließ.

Wollte man jedoch diesen Psalter als solches Gemeinschaftsgebet verbreiten, so hatte man gleich von Anfang dafür zu sorgen, daß er überall auf die nämliche Weise gebetet wurde.

Im Buch "Unsere Lieben Frauen Psalter" (Ausgabe 1495) wird für das Beten des Rosenkranzes mit 15 Geheimnissen empfohlen, vor Beginn der Andacht die Bilder zu betrachten und dann das Vaterunser und die zehn Gegrüßt seist du Maria zu beten oder während des Betens des Vaterunsers und der zehn Gegrüßt seist du Maria auf die Bilder zu schauen.

Diese Angabe entspricht der Art und Weise, wie man den Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen damals betete. Der Vorbeter kündete das Geheimnis an, dann kam das Vaterunser und die zehn Gegrüßt seist du Maria. Das Gegrüßt seist du Maria wurde damals noch in der kurzen Form gebetet und hieß: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus Christus. Amen. Das Ehre sei gehörte damals überhaupt noch nicht zum Rosenkranz.

Es gab also eine Zeit, wo man den Rosenkranz mit den 15 Geheimnissen auch bei uns so betete, daß die Geheimnisse nur beim Beginn eines neuen Gesetzleins angesagt wurden.

 

Die Geschichte des Rosenkranzes
Teil III

(Franz Michel Willam; 1947)

 

VIII.

Der Ausbau des Rosenkranzes zu einem ausgeglichenen Wechselgebet.

1. Die Entstehung des Bittgebetes: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes, Amen". Die kirchliche Festlegung des Wortlautes im Jahre 1568.

Wie die Darlegungen im vorausgehenden Abschnitt zeigen, stellte der Rosenkranz um das Jahr 1500 noch nicht das ausgeglichene Wechselgebet dar, als das wir ihn heute kennen. Ein Gebet, das mit dem chormäßigen Beten der Psalmen Ähnlichkeit hatte, wurde der Rosenkranz erst, als man an den Gruß des Engels Gabriel und an die Worte Elisabeths das Bittgebet an Maria anfügte, das lautet:

"Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen."

Diese uns so vertraut klingende Bittgebet zu Maria hat wieder seinen eigenen liturgischen Stammbaum.

Das kirchliche Stundengebet richtete sich seinem ganzen Aufbau nach in Worten der Anbetung, des Lobes, des Dankes und der Bitte an Gott, den Herrn. Seit dem 13. Jahrhundert wurde es jedoch immer mehr Sitte, sich am Ende desselben an Maria, die Mutter des Herrn, zu wenden.

Die Grüße und Anrufe an Maria, die dazu dienten, enthielten regelmäßig eine Bitte an Maria, sich der Menschen auf Erden zu erbarmen. Im Hymnus für die Weihnachtszeit, der mit den Worten Alma redemptoris mater beginnt, heißt es am Schluß: Erbarme dich der Sünder! Im Anrufe Ave regina coelorum heißt es zuletzt: Bitte Gott für uns! Der Anruf Salve Regina endet mit den Worten: Nach diesem Leben in der Verbannung zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes! Und der Anruf in 'der Osterzeit lautet: Bitte Christus für uns! Im Hymnus der kleinen Tagzeiten zu Ehren Marias, der fünfmal zu beten war, wurde Maria in der zweiten Strophe also angefleht: Maria, Mutter der Gnade, süße Mutter der Barmherzigkeit, beschütze uns vor dem Feind und nimm uns auf in der Stunde des Todes.

Im Mittelalter war das Gebeteverfassen ebenso im Schwung wie das Liederdichten und die Nachfrage nach Gebeten so groß wie die nach Liedern. So ist ohne weiteres erklärlich, daß in allen Ländern Volksgebete begehrt wurden, die irgendwie diesen liturgischen Mariengebeten entsprachen. Da das Gegrüßt seist du Maria In der alten Form ohnehin nur ein Gruß an Maria war, so lag es nahe, an dieses ein eigentliches Gebet anzuschließen.

Bei der Ausformung des Gebetes, das wir heute im "Heilige Maria, Mutter Gottes", besitzen, mochten die Anrufe Marias in der Allerheiligenlitanei: "Heilige Maria, bitt für uns! Heilige Mutter Gottes, bitt für uns!" gewissermaßen als erster Ansatz gedient haben.

Das Gebet selbst trat in der ersten Zeit zugleich in einer kürzeren und einer längeren Form auf. Die kürzere lautete: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns Sünder." In dieser Fassung bringt das Gebet Albert Pius, Fürst von Capri, in einer Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam (1531). Den gleichen Wortlaut hat das Gegrüßt seist du Maria auch in dem (1521) zu Paris gedruckten Brevier der Karthäuser und in den Konzilsbeschlüssen von Konstanz (1567) und Augsburg (1567). Die Beschlüsse von Konstanz erwähnen das Vaterunser und den Glauben nur dem Titel nach, bringen aber das Gegrüßt seist du Maria mit dem Zusatze wortwörtlich. Es galt also damals wohl noch, den Zusatz "Heilige Maria, Mutter Gottes" solchen, die ihn nicht kannten, auf dem Amtswege mitzuteilen. Der Bericht der Augsburger Synode im Jahre 1567 bringt im Lateinischen die Wendung "Bitt für uns arme Sünder". Von diesem Erlasse leitet es sich ab, daß in manchen Gegenden immer noch so gebetet wird.

Das sich die gleiche Formel auch heute noch in Frankreich findet, liegt die Annahme nahe, daß sie ursprünglich über den Rhein her in das deutsche Gebiet gelangt ist.

Die längere Form des Bittgebetes heißt: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns, jetzt und in der Stunde des Todes."

Die Worte Jetzt und in der Stunde des Todes" gaben dem religösen Lebensgefühl des Mittelalters einen treffenden Ausdruck.

Im Sterbebüchlein des hl. Anselm von Canterbury, einem gebürtigen Italiener († 1109), findet sich ein lateinisches Strophengehet, in dessen letztem Vers Maria um den Beistand in der Stunde des Todes angefleht wird. Das Gebet ist heute als Ablaßgebet bekannt und lautet: "Maria, Mutter der Gnade, Mutter der Barmherzigkeit, beschütze uns vor dem bösen Feind und nimm uns auf in der Stunde des Todes."

Daß die Gläubigen die innere Verwandtschaft dieses Gebetes mit dem zweiten Teil des Gegrüßt seist du Maria fühlten, beweist eine Glockeninschrift aus dem 15. Jahrhundert. Sie bringt den Vers Anselms in lateinischer Sprache und fügt dann gleichsam als Fortsetzung ebenfalls in lateinischer Sprache die Bitte an: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns, jetzt und in der Stunde des Todes."

Die Marienglocken waren die Sterbeglocken. In Verehrung Marias als Beschützerin in der Sterbestunde führte der selige Nikolaus von der Flüe († 1487) ständig die Worte im Munde: "O Maria, bitte Gott für uns am letzten Ende!" Das Volk fand das bei einem Heiligen in Ordnung und schön. Ebenso gehörte es sich nach der Auffassung aller aber auch, daß auf dem Wege zur Hinrichtungsstätte eine Kapelle mit einem Marienbild stand und dem Verurteilten daselbst Gelegenheit gegeben wurde, Maria als die Trösterin der Sterbenden anzurufen.

Eines der schönsten Gebete zu Maria um einen guten Tod hat sich in der Volksüberlieferung bis in die neueste Zeit erhalten. Es lautet:

 

O Maria, rosenrot,
Dir klag ich alle meine Not,
Alle meine Not klag ich Dir,
Meine Seel' befehl' ich Dir.
Wenn mir das Herz zerbricht,
Wenn mein Mund kein Wort mehr spricht,
Wenn meine Augen nichts mehr sehen,
Und meine Ohren nichts mehr hören,
Dann empfiehl mich Deinem Sohne,
Bitt bei seinem Gnadenthrone,
Bei dem allerliebsten Sohne Jesus. Amen.

Einen Übergang vom alten, kurzen Gegrüßt seist du Maria zum längeren bietet das Gebetbuch "Seelen Trost", (Auflage 1480). Hier wird an das alte, kurze Gegrüßt seist du Maria ein längeres Gebet zu Maria angeschlossen, in dem sie um die Hilfe in der Sterbestunde angerufen wird.

Der hl. Anselm von Canterbury, dessen Sterbegebet für die Todesstunde zu Maria soeben angeführt wurde, stammte aus Italien. Von dort aus dürfte sich auch das "Heilige Maria, Mutter Gottes", wie wir es heute beten, über alle christlichen Länder verbreitet haben. Jedenfalls führen die ältesten Urkunden in dieses Gebiet.

Eine der frühesten Umschreibungen des "Heilige Maria" wird dem Dichter Dante zugeschrieben. Sie lautet: "O heilige Jungfrau, bitte immerdar bei Gott für uns, daß er uns verzeihe und die Gnaden verleihen möge, hier so zu leben, daß er uns am Ende den Himmel schenken kann." Wenn die Verse nicht von Dante stammen, so gehören sie doch auf alle Fälle in das 14. Jahrhundert. Vom hl. Bernardin von Siena († 1444) berichtet eine Urkunde, daß er eine Predigt mit dieser Bitte an Maria eingeleitet habe.

In Frankreich taucht das Gebet (1493) in einem sogenannten "Hirtenkalender" auf. in Italien erscheint es neuerdings in einem kleinen Werke Savonarolas (1495) In einer Verordnung des Erzbischofs von Mainz, Berthold von Hennebert (1499) lautet das Gebet: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Arnen."

Eine Ordensregel der Brigittinerinnen aus der Zeit um 1500 zeigt, wie das Gegrüßt seist du Maria mit dem Bittgebete sich soeben durchzusetzen begann. Es wird darin bedeutet, man' habe, so oft das Gegrüßt seist du Maria nach der Ordensregel zu beten sei, die alte Form beizubehalten. Wenn man für sich selbst bete, sei es jedoch gestattet, die neuen Zusätze anzufügen.

Die Sitte, an das Gegrüßt seist du Maria die Bitte "Heilige Maria, Mutter Gottes", regelmäßig anzuschließen, fand zuerst in dem kirchlichen Stundengebete der Orden Aufnahme. Im Breviere des Ordens der Merzedarier und in dem der Kamaldulenser, die beide im Jahre 1514 zu Paris gedruckt wurden steht das „Heilige Maria“ wie man es heute betet.

 

 

2. Die Angliederung des Bittgebetes
"Heilige Maria, Muttergottes" an das Gegrüßt seist du Maria.

Ehe man auf den Gedanken kommen konnte, den Rosenkranz durch Angliederung des Heilige Maria, Mutter Gottes, an das Gegrüßt seist du Maria anzufügen und den Rosenkranz So zu einem ausgeglichenen Wechselgebet auszubauen, mußte man sich daran gewöhnt haben, das Heilige Maria, Mutter Gottes mit dem Gegrüßt seist du Maria zusammen zu beten.
Eine selbstsprechende Urkunde, die bezeugt, daß die beiden Gebete nacheinander gebetet wurden, findet sich in den Werken des berühmten Sprachenforsehers Peter Schwarz O. P. († 1483). Dieser Dominikaner, wegen seiner Kenntnis der hebräischen Sprache berühmt und bewundert, übersetzte das Gegrüßt seist du Maria samt dem Heilige Maria, Mutter Gottes, in die hebräische Sprache. Diese Tatsache beweist, daß er die Verbindung dieser Gebete als etwas Volkstümliches betrachtete. Er hätte doch niemals ein ganz bekanntes und ein ganz unbekanntes Gebet aneinandergestückt und zusammen in die von ihm geliebte hebräische Sprache übertragen.

Im Jahre 1568 verpflichtete Papst Pius V. in seiner neuen Brevierausgabe die Priester dazu, bei den Stundengebeten nach dem Vaterunser auch das Gegrüßt seist du Maria zu beten. Der Wortlaut, den er hierfür vorschrieb, stimmt mit dem heutigen vollkommen überein, das heißt, der Wortlaut des Gegrüßt seist du Maria, den das Brevier enthielt, wurde zur Vorlage für die Verbreitung dieses Gebetes unter dem Volke genommen.

Es ist für die Art des hl. Kanisius mit seinem feinen Gefühl für Volksseelsorge bezeichnend, daß er in den Schriften, die für das Volk bestimmt waren, auch nach dem Jahre 1569 die kurze Form "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns Sünder" beibehielt. So brachte er in seinem Werke über die allerseligste Jungfrau Maria, erschienen im Jahre 1577, und in der Neuauflage des gleichen Buches im Jahre 1583 das Gegrüßt seist du Maria noch in der alten Form. Auch in seinem kleinen Katechismus hielt er sich an die überlieferte Fassung. Für die Gegend von Lyon i st die kurze Form sogar noch für das Jahr 1613 bezeugt.

Erst die Beifügung des Bittgebetes an das einfache Gegrüßt seist du Maria machte es möglich den Rosenkranz in einem eigentlichen Wechsel- oder Chorgebete zu beten. Man mußte sich freilich darüber schlüssig werden, wo und wie man nunmehr die Geheimnisse unterbringen wollte. Diesbezüglich setzten nun damals nördlich und südlich der Alpen verschiedene Entwicklungen ein und der Rosenkranz wird dementsprechend bis heute hier und dort verschieden gebetet.

In den deutschen Sprachgebieten und ihren Nachbarländern schaltete man das Geheimnis zwischen dem ersten und zweiten Teile des Gegrüßt seist du Maria ein. Man betete also, wie man heute noch betet:

"Gegrüßt seist du Maria ... deines Leibes Jesus, den Du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Heilige Maria, Mutter Gottes ...“

Diese Betweise empfahl z. B. Sailly S.J. in seinen verschiedenen Gebetbüchern, die um 1600 erschienen. Das gleiche tat der Dominikaner Coppenstein im Jahre 1613 und Merlo Horstius in seinem „Paradies der Seele", das nach dem Jahre 1644 in vielen Auflagen erschien.

Nach dein Bericht des heiligen Grignion wurde, im Jahre 1628 zu Paris der Rosenkranz bei einer feierlichen Bittandacht auf die Weise gebetet, daß der Erzbischof mit lauter Stimme die Betrachtungen über die Geheimnisse des Rosenkranzes vorlas und hierauf das Vaterunser und das Gegrüßt seist du Maria eines jeden Zehners begann, während die Ordensleute und die übrigen. Anwesenden antworteten.

In Wien wurde im Jahre 1688 der Rosenkranz auf folgende Weise gebetet: Der Vorbeter kündete das Geheimnis an und erklärte es. Der erste Chor sagte die erste Hälfte des Credo, der zweite die andere. Die Vaterunser und die Gegrüßt seist du Maria, die mit dem Worte "Jesu" abschlossen, wurden gleichfalls geteilt.

Es müssen eigene Gründe dahin gewirkt haben, daß man nördlich der Alpen sich auf diese Betweise umstellte. In diesen Gebieten hatte sich im Volke schon seit mehreren Menschenaltern eine ganze Reihe von Rosenkränzen eingelebt, bei denen für jedes einzelne Gegrüßt seist du Maria ein Geheimnis angefügt wurde. So gingen vor der Angliederung des "Heilige. Maria" alle Rosenkränze nach folgendem Beispiel:

1.         Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
            der dich von Ewigkeit auserwählt hat. Amen.

2.         Gegrüßt seist du, Maria... deines Leibes Jesus (Christus),
            der dich von der Erbsünde unbefleckt bewahrt hat. Amen.

3.         Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
            der dich mit allen Gnaden erfüllt hat. Amen.

4.         Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
dem du im dritten Jahre im Tempel aufgeopfert worden bist. Amen.

5.         Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
            dem du deine Jungfrauschaft gelobt hast. Amen.

Die Einführung des Rosenkranzes mit den 15 Geheimnissen als Gemeinschaftsgebet begegnete in diesem Falle nun am wenigsten Schwierigkeiten, wenn man unter Wahrung der gleichen Länge und des alten Rhythmus das Gesetzlein so betete, daß man anstatt bei jedem einzelnen Gegrüßt seist du Maria ein neues Geheimnis einzusetzen, jeweils dasselbe Geheimnis zehnmal wiederholte. Man betete nunmehr wie folgt:

1. Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Amen.

2. Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
den du, o Jungfrau, von, Heiligen Geist empfangen hast. Amen.

3. Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Amen.

4. Gegrüßt seist du, Maria … deines Leibes Jesus (Christus),
den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Amen.

5. Gegrüßt seist du, Maria ... deines Leibes Jesus (Christus),
den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Amen.

 

 

Abgesehen von diesem Vorteile mochte an dieser Betweise jedoch auch etwas sein, was der Volksart entsprach. Die ständige Wiederholung desselben Geheimnisses brachte in das Beten des Rosenkranzes etwas Liedhaftes. Das Geheimnis nahm eine ähnliche Stellung wie der Kehrreim in den Liedern ein, wie sie damals zu hunderten im Volke gesungen wurden.

In Italien und in anderen romanischen Ländern verlief die Entwicklung anders. Da setzte sich jene Gebetsweise durch, wobei der Vorbeter den Gläubigen vor Beginn des Gesetzleins das Geheimnis kurz angibt und im Anschlusse daran das Vaterunser und die zehn Gegrüßt seist du Maria einfachhin gebetet werden. Der Vorbeter sagt z. B.:."ES ist zu betrachten, wie Maria, die seligste Jungfrau, Jesus vom Heiligen Geiste empfangen hat." Dann folgen das Vaterunser und die zehn Gegrüßt seist du Maria ohne jeden Zusatz.

Es müssen wieder eigene Gründe vorhanden gewesen sein, die zu dieser andersartigen Entwicklung führten. Der Psalter mit den 15 Geheimnissen war hier, wie zu vermuten ist, überhaupt der erste, mit dem alle Volksschichten bekannt wurden. Man blieb somit einfach bei der Gebetsweise, in der dieser erste Rosenkranz eingeführt worden war. Das Volk besaß hier außerdem eine ausgesprochene Vorliebe für eine gedrungene Gliederung.

 

IX.

Die Einfügung des Lobspruches
"Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste".

Schon im Alten Bunde hatte es kurze Lobsprüche gegeben, die mit dem Worte und dem Satze "Gelobt sei Gott!" anfingen. Als die Christen diese Gebetsweise übernahmen, konnten sie dieselbe sowohl auf Gott, den Vater, als auch auf Gott, den Sohn, und auch auf Gott, den Heiligen Geist beziehen oder auch alle drei göttlichen Personen zusammenfassen. Dabei ließen sieh die drei göttlichen Personen einfachhin nebeneinander oder unter Angabe ihres gegenseitigen Verhältnisses anführen.

Im Morgenlande betete man vielfach "Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist" oder ähnlich. Der hl. Basilius († 379) erklärt jedoch, daß auch die Betweise "Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist" seit alters her gebraucht würde.

Im Abendlande setzte sich die Form "Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist" allgemein durch. Sie stimmte mit den Worten Jesu im Taufbefehl an die Apostel überein: „Tauft im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." So lautete das Lobgebet schon in der Kirchenordnung des Hippolyt, der im Jahre 235 n. Chr. starb. Im Psalmengesang schloß schon im 3. und 4. Jahrhundert jeder einzelne Psalm mit diesem Lobpreise der heiligsten Dreifaltigkeit ab.

Volle Einheitlichkeit kam in die Gebetsformel durch das Konzil von Vaison (529). Dieses Konzil erließ die Vorschrift, daß man auch in Gallien, das bedeutete damals auch in allen Gebieten nördlich der Alpen, wie zu Rom und anderswo "Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste, wie es war im Anfange, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit" beten solle.

Der Lobspruch auf die heiligste Dreifaltigkeit hat einen eigenen Charakter. Einerseits ist er das erste und anderseits das letzte, Gebet. Man kann mit diesem Lobspruch anheben und, von ihm ausgehend, die Werke Gottes: die Schöpfung im Vater, die Erlösung im Sohn und die Heiligung im Heiligen Geist, im Überblicke durchnehmen. Man kann sich aber auch nach Betrachtung alles Geschaffenen von der Erde her zum Ursprung aller Dinge, zu Vater, Sohn und Heiligen Geist, aufschwingen und mit dem Lobspruch auf die drei göttlichen Personen enden. Das "Ehre sei dem Vater" im Rosenkranz gehört der aufsteigenden Gebetsbewegung an. Von Maria erhebt sich das Gebet zu Jesus und von Jesus zur heiligsten Dreifaltigkeit.

Das "Ehre sei dem Vater" hat unter den liturgischen Gebeten, die in den Rosenkranz übernommen wurden, in gewissem Sinn auch die merkwürdigste Geschichte. Obwohl es neben dem Vaterunser und dem ersten Teile des Gegrüßt seist du Maria das älteste Gebet darstellt, wurde es trotzdem, als letztes in die Gebetsreihe des Rosenkranzes eingefügt.

Die Gesamtvorstellung, die das Mittelalter von Maria hatte, schloß den Gedanken an die heiligste Dreifaltigkeit in sich ein. Im Auftrag des Vaters hatte ja die reinste Jungfrau den Sohn Gottes vom Heiligen Geist empfangen. In den bildlichen Darstellungen Marias kam diese Auffassung sehr oft dadurch zum Ausdruck, daß man Maria mit den göttlichen Personen darstellte. Auch beim Beten des Rosenkranzes war der Blick auf die heiligste Dreifaltigkeit irgendwie von allem Anfang an mitgegeben. Schon gleich in den ersten Zeiten tauchen darum auch einzelne Gebete zu ihr auf, die diesen Gedanken in eigenen Worten festhalten.

So enthält z. B. das handgeschriebene Gebetbuch der reichen dänischen Witwe Jesperdatter (des Kaspars Tochter), das um 1500 herum entstand, die Weisung, zu allen Vaterunsern im Psalter der Jungfrau Maria mit großer Andacht vor dem Bilde der heiligen Dreifaltigkeit folgendes Gebet zu sprechen: "Der allerheiligsten und untrennbaren Dreifaltigkeit, Jesu Christi gekreuzigter Menschheit und der heiligen Mutter, der Jungfrau Maria, werde Lob, Preis und Ehre von allen Kreaturen, so im Himmel und auf Erden sind, ewiglich, zu ewiger Zeit, ohne Ende." Das Gebet ist beinahe wörtlich dasselbe, das der Priester heute am Schlusse des Stundengebetes jeden Tag verrichtet.

Im Gebetbuche der Jesperdatter befand sich das Bild der heiligsten Dreifaltigkeit auf der einen und das Gebet zu ihr auf der andern Seite. Die Beziehung des Rosenkranzes auf die heiligste Dreifaltigkeit kam in diesem Werk außerdem dadurch zum Ausdrucke, daß der Psalter geradezu „der Psalter der heiligsten Dreifaltigkeit und der seligsten Jungfrau Maria" genannt wurde.

Ludwig Blosius († 1566) gab in seinem Rosenkranzbuch ebenfalls die Weisung, nach je zehn Gegrüßt seist du Maria ein Gebet zur heiligsten Dreifaltigkeit anzufügen. Es sollte lauten: "Lob sei der glänzenden Dreifaltigkeit, dem Vater, dem Sohn und dem Tröster; Lob der jungfräulichen Gottesgebärerin jetzt und durch alle Ewigkeit. Amen."

Von diesen Anregungen an dauerte es jedoch noch lange, bis das "Ehre sei dem Vater" allgemein üblich wurde. In Venedig betete man den Rosenkranz noch im Jahre 1761 ohne das "Ehre sei dem Vater". Ja sogar im lateinischen Gebetbuche Libellus precum, das im Jahre 1823 erschien, blieb der Rosenkranz noch ohne Ehre sei.

Thurston führt die Sitte, am Schlusse von zehn Gegrüßt seist du Maria wie am Schluß eines jeden Psalmes im Stundengebete das Ehre sei dem Vater anzufügen, auf die Dominikanerkirche Sopra Minerva in Rom zurück. Nach dem Zeugnisse des Spaniers Fernandez (aus dem Jahre 1613) wurde dort der Rosenkranz genau wie die Vesper mit den fünf Psalmen gesungen. Zuerst kam das "Deus in adjutorium meum...", dann ein Geheimnis, dann eine kurze Betrachtung des Geheimnisses, dann eine Antiphon, dann das Vaterunser und die zehn Gegrüßt seist du Maria. Dabei wurde von Chorseite zu Chorseite gewechselt. Das Gesetzlein schloß wie der Psalmengesang mit dem Gloria patri ab.

 

X.

Überblick über die Entstehung des Rosenkranzes
als ein Gegenstück zu den liturgischen Tagesgebeten der Kirche.

Im folgenden wird von jedem Gebet kurz angegeben:

1. Die Herkunft des Gebetes.
2. Die Verwendung in der Liturgie, die für die Übernahme in den Rosenkranz bedeutsam wurde.

 

Das Vaterunser


1. Die, Herkunft:

Das Vaterunser ist das "Gebet des Herrn", also jenes Gebet, das der Herr die Jünger selbst lehrte. Jesus sprach: "Wenn ihr betet, sollt ihr so beten: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden, unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen."             (Mt. 9-13.)

 

2. Die Verwendung in der Liturgie, die für die Entstehung des Rosenkranzes bedeutsam wurde.

Schon um das Jahr 800 bestand in den Klöstern St. Gallen und Reichenau die Vorschrift, daß die Laien für jedes verstorbene Mitglied 50 Psalmen zu beten hatten. Eine Urkunde des Klosters Cluny vom Jahre 1096 erklärt: Wer nicht Priester ist, hat für jedes verstorbene Ordensmitglied 50 Psalmen oder 50 Vaterunser zu beten. An die Stelle des Psalmes tritt also je ein Vaterunser und an die Stelle des ganzen Psalmes 150 Vaterunser.


Der erste und der zweite Teil des Gegrüßt seist du Maria.

1. Die Herkunft:

Der erste Teil stellt den Gruß dar, den Gabriel an Maria richtete. Im Lukas Evangelium wird erzählt: "Der Engel tritt bei Maria ein und sprach: ‚Sei gegrüßt, du Gnadenvolle! Der Herr ist mit dir; du bist gebenedeit unter den Weibern!’“ (Lk. 1, 28.)

Der zweite Teil des Gegrüßt seist du Maria enthält den Gruß der Elisabeth an Maria. Lukas berichtet: "Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und sie rief mit lauter Stimme: ‚Du bist gehenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!’“           (Lk. 1,42.)

2. Die Verwendung in der Liturgie, die für die Entstehung des Rosenkranzes bedeutsam wurde.

Der Gruß des Engels und der hl. Elisabeth sind um 600 herum im Offertorium des vierten Adventsonntags schon miteinander vereinigt. Im 11. Jahrhundert wurden die kleinen Tagzeiten zu Ehren Marias in sozusagen allen Orden eingeführt. Eine Erzählung des hl. Peter Damian, der im Jahre 1072 starb, stellt einen Vergleich zwischen dem einfachen kurzen Gegrüßt seist du Maria und den Tagzeiten zu Ehren Marias an. Seit dem Ende, des 14. Jahrhunderts wurde zu diesem Gebete der Namen Jesus oder der Namen Jesus Christus hinzugefügt.

 

Das Bittgebet "Heilige Maria, Muttergottes,
 bitt für uns arme Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes".

1. Die Herkunft:

Das Bittgebet "Heilige Maria, Muttergottes" setzt sich aus zwei Gebeten zusammen, die nebeneinander entstanden. Das erste lautet: "Heilige Maria, Muttergottes, bitt für uns!" oder "Heilige Maria, Muttergottes, bitt für uns Sünder!" Das zweite Gebet lautet: "Heilige Maria, Muttergottes, bitt für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes!" Ähnliche Bitten, wie sie in diesen beiden Gebeten an die Muttergottes gerichtet werden, finden sich in der Allerheiligen Litanei, in den kleinen Tagzeiten und Antiphonen der Muttergottes.

2. Die Verwendung in der Liturgie, die für die Entstehung des Rosenkranzes bedeutsam wurde.

Die erste Urkunde, die das Gegrüßt seist du Maria in der heutigen Form bringt und zugleich bezeugt, daß es als Volksgebet betrachtet wurde, stammt aus dem Jahre 1483. Die heutige Form der Bitte wurde im Jahre 1568 zunächst für das römische Brevier vorgeschrieben. Von dort ging sie allmählich in das Beten des Volkes über. Durch die Anfügung des "Heilige Maria, Muttergottes" erhielt der Rosenkranz die Form eines ausgeglichenen Wechselgebetes.

Das Gebet "Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geiste".

1. Die Herkunft:

Dieses Gebet ist den Worten Jesu nachgebildet, mit welchen er den Jüngern den Auftrag zur Taufe gab, Er sprach: "Geht hin und lehrt alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!“

Lobsprüche zur heiligsten Dreifaltigkeit waren im Morgen- und Abendlande schon seit den ersten Zeiten der Christenheit üblich. Die heutige Form des Lobspruches wurde auf dem Konzil von Vaison im Jahre 529 für die Gesamtkirche vorgeschrieben.

2. Die Verwendung in der Liturgie, die für die Entstehung des Rosenkranzes bedeutsam wurde.

Vom 4. Jahrhundert an wurde es Sitte, beim Chorgebete jeden einzelnen Psalm mit dem Absingen des Lobspruches "Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geiste" abzuschließen.

Schon um das Jahr 1500 findet sich im Rosenkranzbuche der Dänin Jesperdatter ein Lobspruch zur heiligsten Dreifaltigkeit, der bei jedem Gesetzlein eingeschoben wurde. Der Lobspruch Ehre sei dem Vater als Abschluß der Rosenkranzsätzlein wird im Jahre 1613 in einem Werke des Spaniers Fernandes zum ersten Male erwähnt. In der Dominikaner-Kirche Sopra Minerva in Rom sang man damals den Rosenkranz wie die Vesper und fügte so am Schlusse jedes Gesetzleins wie bei der Vesper das Ehre sei an.

Das Gefüge der Zahlen im Rosenkranzgebet

Die Grundzahl 150, die den Rosenkranz bestimmt, wurde von der Zahl der Psalmen, der Sammlung von Anbetung-, Lob-, Dank-, Bitt- und Bußgebeten des Alten Bundes, übernommen. Die Iren und Angelsachsen teilten das Buch der Psalmen in drei Fünfziger ein. Aus dem Jahre 1096 liegt für das Kloster Cluny eine Urkunde vor, nach der des Lateins unkundige Laienbrüder für je einen Psalm je ein Vaterunser, für 50 Psalmen somit 50 Vaterunser zu beten hatten.

Im 13. Jahrhundert ging man dazu über, so wie man 150 Vaterunser zu Ehren des Herrn betete, auch die allerseligste Jungfrau Maria mit 150 Gegrüßt seist du Maria zu begrüßen.

Später fügte man die Vaterunser und die Gegrüßt seist du Maria, so ineinander, daß man auf je ein Vaterunser zehn Gegrüßt seist du Maria folgen ließ.

Nach 1400 begann man, an die einzelnen Gegrüßt seist du Maria je ein Geheimnis aus dem Leben Jesu oder Maria anzuschließen. So erhielt man einen Psalter aus 150 Gegrüßt seist du Maria und 150 Geheimnissen.

Um 1500 setzte man die Zahl der Geheimnisse auf 15 herab. Somit folgten auf ein Vaterunser und ein Geheimnis zehn Gegrüßt seist du Maria. Hierbei kündigte man das Geheimnis nur einmal vor dem Vaterunser an oder wiederholte es bei jedem Gegrüßt seist du Maria

Die Entwicklung der Geheimnisse des Rosenkranzes.

Den ersten Ansatz zur Entwicklung gab der Psalter Unseres Herrn Jesus Christus, in dem die 150 Psalmen der Heiligen Schrift auf Jesus Christus so ausgelegt wurden, daß sich aus allen Ausdeutungen zusammen eine Art Oberblick über das Leben Jesu von der Menschwerdung bis zur Verherrlichung ergab. (12., 13. und 14. Jahrhundert.)

Dem Psalter Unseres Herrn Jesus Christus folgte der Psalter der seligsten Jungfrau Maria. In diesem wurden die Psalmen in erster Linie auf Maria ausgedeutet. Auch diese Psalter gewannen die Gestalt eines Berichtes über das Leben Marias. (12, 13, und 14. Jahrhundert.)

Aus den zwei Psaltern, dem Psalter Unseres Herrn Jesus Christus und dem Psalter der seligsten Jungfrau Malla entnahm man 50, beziehungsweise 150 Sätze, die man als sogenannte Geheimnisse an die 150 Gegrüßt seist du Maria des Rosenkranzes anschloß. (15. Jahrhundert.)

An die 50, beziehungsweise 150 Geheimnisse, die zunächst nur Aussagen über das Leben Jesu und das Leben Marias enthielten, fügte man später in der Form einer Bitte geistige Nutzanwendungen an. Auf diese Weise erhielt man 50, beziehungsweise 150 abgekürzte Betrachtungen. (15. Jahrhundert.)

Um den Rosenkranz zu einem mündlichen Gemeinschaftsgebete zu machen, setzte man schließlich die Zahl der Geheininisse auf 15 herab. Nunmehr entsprach dem mündlichen Gebete von zehn Gegrüßt seist du Maria die Betrachtung eines einzigen Geheimnisses. (Diese Entwicklung setzte Ende des 15. Jahrhunderts ein und gelangte im 16. Jahrhundert zum Abschluß.)

Die Reihe der Betweisen, durch die der Rosenkranz hindurchging.

Einen einzigartigen Fall stellt der Rosenkranz insofern dar, als er in seiner Entwicklung durch eine ganze Reihe von Betweisen hindurchging.

Zuerst war der Rosenkranz ein "Zählgebet": man betete 150 Vaterunser oder Gegrüßt seist du Maria und zählte sie ab.

Später wurde der Rosenkranz zu einem, wie die englischen Forscher sagen, "körperlichen Gebet", also zu einem Gebete, das von Gebärden begleitet wurde: man machte bei jedem Vaterunser oder Gegrüßt seist du Maria eine Verneigung oder eine Kniebeugung oder spannte während des Betens die Arme aus.

Mit dem Aufkommen der langen Geheimnisreihen verwandelte sich der Rosenkranz in ein "Lesegebet": man „las“ die Geheimnisse von einer handgeschriebenen oder gedruckten Liste ab.

Aus dem Lesegebet wurde ein "Bildergebet": um den Gläubigen, für die das Lesen eine allzu große Mühe mit sich brachte, die Sache zu erleichtern, stellte man jedes einzelne Geheimnis in einem Bild dar.

Erst als die Zahl der Geheimnisse auf 15 beschränkt worden war, setzte die Entwicklung des Rosenkranzes zu einem mündlichen Gemeinschaftsgebete, ein.